Mütter- und Schwangerenforum

Drachenzeit - Das Erwachen

Anonym 185644
5 Beiträge
19.12.2015 08:43
Hallo zusammen,

Ich dachte mir die Tage, bevor ich meinen Roman für alle Zeiten auf meiner Festplatte verstauben lasse, kann ich ihn genausogut mal ein paar Leuten zum Lesen geben. Also Leuten außer meiner Familie..

Um die Fragen zu beantworten, die vielleicht kommen werden:

- Das Fantasy-Buch ist fast 15 Jahre alt, wird von mir weder überarbeitet noch editiert oder sonstwas. Es war quasi eine Jugendsünde und ich bin realistisch genug, um zu erkennen, dass es nicht besonders gut ist. In diversen Anfällen von Wahnsinn hab ich immer wieder mal probiert, es verschiedenen (eigentlich sehr vielen) Verlagen anzubieten, finde aber nur Durckkostenzuschlagsverlage und das mache ich nicht.
Deswegen: Umgeschrieben/verbessert wird da nichts mehr. Es soll einfach nur zum Lesen sein

- Ich bin anonym, weil ich es schön fände, wenn es erstmal unvoreingenommen gelesen wird. Wenn es nicht zu peinlich wird, oute ich mich irgendwann. So hab ich jedenfalls die Möglichkeit, mich still und heimlich zurückzuziehen und niemals damit in Verbindung gebracht zu werden, sollten hier 2 Merker auftauchen und sonst nix

So und nun: (Hoffentlich) viel Spaß beim Lesen!

Dieses Thema wurde anonym erstellt, weil:

ich unvoreingenommen beurteilt werden möchte.

Anonym 185644
5 Beiträge
19.12.2015 08:45
PROLOG

1.

„Tally!“
Keine Antwort.
„Talliana!!“
Ein Kichern. Greon blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Mit strengem Blick schritt er zu einem der großen Rosenbüsche, die den Kiesweg des großen, strohbedeckten Hauses säumten. Er langte dahinter und schwang sich seine über beide Ohren grinsende Tochter auf den Arm. In den wilden Haaren des Mädchens hingen zwei oder drei Blätter, sie wehrte sich heftig dagegen, hochgehoben zu werden. Liebevoll strich ihr Vater ihr mit seinen großen Händen über den pechschwarzen Schopf. Seltsam, diese dunklen Haare. Im Stamm war solch dunkles Haar sehr selten; das Mädchen schien sich selbst in solchen Details von ihrer sanften, blonden Mutter unterscheiden zu wollen.... Greon wurde sich bewusst, dass Talliana mit einer kleinen Faust gegen seine Brust trommelte. Missmutig blickte sie ihm ins Gesicht.
„Wieso versteckst du dich und ärgerst deinen alten Vater, meine Kleine?“
Das Mädchen zappelte.
„Lass mich runter, Pa, ich bin doch kein Baby mehr!“
Er setzte sie ab.
„Nun?“
Tally strich ihr Baumwollkleid glatt und zupfte sich die Blätter aus den Haaren. Ihr Missmut darüber, wie ein Kind behandelt zu werden war schon wieder verflogen.
„Tara und ich haben uns versteckt. Wir haben Josh und seine Freunde geärgert und sie haben uns verfolgt. Oh, er war so wütend, Pa. Weißt du, wir haben... “
„Das reicht, junge Dame.“ Greon schnitt ihr kurz entschlossen das Wort ab. Er kannte diese Art Erzählungen und wusste, sie konnten Stunden andauern. Außerdem war er der Meinung, dass es diesem Kind keinesfalls schaden würde, zu lernen, den Mund zu halten. Wenn sie diese Selbstsicherheit beibehielt, würde es ihr später schwer fallen, einen guten Mann zu finden, der für sie sorgte.
Greon fuhr sich mit der Hand über die Augen, wie er es immer tat, wenn er müde war, eine Geste die Talliana nur zu gut kannte.
„Hinein ins Haus mit dir und sieh zu, dass du deine Mutter kurz besuchst.“, sagte er freundlich. „Du solltest wirklich langsam alt genug sein, dich etwas damenhafter zu benehmen.“
„Jawohl, Herr Dorfoberhaupt.“ Aus den kohlschwarzen Augen blitzte der Schalk.
Greon grummelte etwas unverständliches in seinen braunen Bart, in dem sich schon die ersten grauen Strähnen zeigten und schob seine Tochter mit sanfter Bestimmtheit durch die große Eisenholztür. Auf der Schwelle schien ihm etwas einzufallen. Er blieb stehen.
„Ja,....wo ist denn nun Kitara?“
Tally stutze. Sie drehte sich auf dem Absatz um und starrte den weißen Kiesweg entlang.
„Nun, aber....na, verteufelt, keine Ahnung. Vorhin war sie noch bei mir.....“
Ihr Vater verdrehte die Augen. „Rede um Himmels willen nicht so, Kind, und erst recht nicht gleich in Hörweite deiner Mutter. Und jetzt ins Haus mit dir, du Wildfang, na los.“
Greon warf noch einen kurzen Blick hangabwärts zum Dorf. Als Häuptling hatte er das Vorrecht und die Notwendigkeit, sein Haus an der höchsten Stelle zu bauen, unübersehbar und unerschütterlich zog es die ersten Blicke von Besuchern auf sich und warf einen beruhigenden Schatten auf die kleine Gruppe von Bauten, die am Fuß des Hügels lagen. Kaum drei Dutzend mehr oder weniger große Hütten kuschelten sich an den Hang, umgeben von einer Flut aus Bäumen und Büschen, denn dem Stamm war die Natur und die Nähe zu ihr heilig.
Der Häuptling konnte den Dunklen Fluss sehen, der sich einen halben Kilometer weiter nördlich entfernt durch das Tal schlängelte und dank des ungewöhnlich klaren Wetters erkannte er dahinter die Schatten der zerklüfteten Bergkette, die sein Volk den Drachenrücken nannte und wo der Dunkle Fluss seine Quelle hatte.
Im Süden erstreckten sich endlose und wieder endlose Täler und Wiesen. Das Land war flach und bot einen atemberaubenden Weitblick auf die anfolgenden Weiten Tarisslans, des großen Kontinents auf dem sie lebten. Viele Kilometer entfernt sah der Häuptling eine Herde Spitzhornziegen weiden, die seinem Volk als Nahrungs- und Wolllieferanten dienten.
Die Luft war nicht warm, aber lau und frisch und roch nach den Rosenbüschen neben dem Weg und den Feuerstellen der Häuser. Greon tat einen tiefen Atemzug und genoss die vorabendliche Stille. All seine Sorgen wurden weggewaschen von diesem Moment der Ruhe und des Friedens und er spürte, wie sich seine Muskeln entkrampften.
Erst als wiederholt energisch an seinem Arm gezogen wurde, bemerkte er, dass er noch die kleine Hand seiner Tochter in der seinen hielt.
Talliana sah verwundert zu ihm auf.
„Du siehst ganz komisch aus Pa. Ist dir nicht gut?“, fragte sie ängstlich.
Ihr Vater lachte kurz. „Ganz im Gegenteil, Kleines. Und nun lass uns gehen.“
Nachdenklich folgte er dem Kind ins Haus. Hinter ihnen schloss sich die große Tür mit einem gut geölten Klacken.

In der gemütlichen, großen Wohnstube flackerte ein Feuer in dem riesigen Kamin, der fast eine gesamte Wand einnahm. Er war so groß, dass ein Mann aufrecht darin stehen konnte, und brannte so gut wie immer, denn eine andere Wärmequelle gab es nicht.
Ein offener Durchgang zur Linken führte zu der geweißten großen Küche, eine große Tür an der Rückseite des Raumes gehörte zum Schlafzimmer des Häuptlingspaares, die schmale am rechten Ende des Wohnzimmers verschloss Tallianas kleines Reich.
Das Mädchen zog nun wohlgesittet die genähten Lederschuhe aus und tappte mit bloßen Füßen über den Wollteppich zum Kamin, um sich die Hände zu wärmen.
Es war dunkel im Raum und duftete überall nach Himmelskraut. Greon entzündete am Kamin eine große Kerze, ging mit langen Schritten zu der hinteren Tür und klopfte sacht. Eine hübsche Frau von etwa 25, mit rotem Gesicht und etwas aufgelösten Haaren öffnete die Tür halb.
„Ja, Herr?“
„Wie geht es ihr, Harit?“ Seine Stimme klang plötzlich sehr gepresst. Khara, seine Frau lag nun seit fast anderthalb Tagen hinter dieser Tür in den Wehen.
„Es geht ihr gut, Herr. Nun, jedenfalls den Umständen entsprechend...“ beruhigte Harit ihn. „Die Abstände werden immer kürzer, Ischti sagt, es wird noch diesen Abend soweit sein.“
Tally schob sich, ganz plötzlich sehr schüchtern, an ihren Vater heran und zupfte ihn am Zipfel seiner braunen Wolljacke.
„Darf ich jetzt zu ihr, Pa?“
Er blickte die Frau im Türrahmen fragend an. Sie nickte.
„Natürlich, kleine Talliana. Komm herein.“
Das Kind zwängte sich durch den Türspalt in das geräumige Schlafzimmer ihrer Eltern.
Sie blickte zu der Frau hoch, die gerade wieder die Tür schloss.
„Warum darf Papa nicht hinein?“
„Männer dürfen bei Geburten nicht anwesend sein, junge Dame. Das bringt Unglück, denn dies ist etwas, mit dem sie nichts zu tun haben. Wusstest du das denn nicht?“
Tally schüttelte nachdenklich den Kopf und sah sich dann neugierig um. Das sonst so helle Zimmer war verdunkelt worden, samtene Vorhänge vor den Fenstern ließen nur Dämmerlicht herein. An fast allen erdenklichen Stellen waren Kerzen aus Bienenwachs aufgestellt worden und der betörende, süße Duft des Himmelskrautes war hier so stark, dass er ihr das Atmen erschwerte. Dazu der erdrückende Anblick der schweren Eisenholzmöbel, des großen Schranks, des Tisches auf dem hohe Stapel von Tüchern und ein großer Kessel Wasser immer bereitstanden....Tally schauderte innerlich. Sie würde es hier keine halbe Stunde aushalten, gefangen wie ein Tier im Käfig.
In der Mitte des Raumes lag in dem großen Eichenbett eine schöne, etwa dreißigjährige Frau mit großen dunklen Augen in einem Meer aus weißen, duftigen Laken.
Neben ihr auf einem kleinen Stuhl saß Ischti, die älteste Frau und Hebamme des Stammes und musterte Tally mit ihren kleinen stechenden Augen grimmig. Sie schien nur auf ein zu laut gesprochenes Wort oder ein versehentliches Lachen zu warten, um das Mädchen schleunigst wieder aus dem Zimmer befördern zu können. Sie hielt sich jedoch zurück und barg leise murmelnd ihre runzligen Hände im Schoß ihres groben ungefärbten Kleides.
Tally ging schnell auf ihre Mutter zu und ergriff ihre Hand.
„Mama...“
Khara drehte den Kopf zu ihr. Ein Lächeln ließ ihr müdes, etwas zu blasses Antlitz aufleuchten. Die erste Frau des Dorfes war schön, wenn auch auf eine etwas farblose Art. Ihr Haar war blond, aber ohne einen wirklichen goldenen Schimmer, ihre Haut weich und makellos aber ohne rote Wangen und ihre Lippen öffneten sich nur selten zu einem wirklichen Lachen.
Jetzt jedoch lächelte sie ihre kleine Tochter, zu der sie sonst wenig Bezug hatte, ehrlich erfreut an und drückte ihre Hand.
„Hallo mein Liebling, schön, dass du hier bist.“
Tallianas Augen wanderten zu der gewaltigen Wölbung ihres Bauches, der sich unter den weißen Decken abzeichnete.
„Wann ist es denn soweit, Mama?“
„Bald, mein Schatz....bald schon....dann hast du einen kleinen Bruder und dein Vater einen Erben und Nachfolger. Dafür hast du doch auch gebetet nicht wahr?“
Sie lächelte Tally sanft an und schien keine wirklich andere als eine zustimmende Antwort zu erwarten.
Tally, die gerne eine kleine Schwester gehabt hätte, nickte mit nur einer halben Sekunde Verzögerung.
„Natürlich Mama.“
„Du bist ein gutes Mädchen. Du wirst gut Acht geben auf deinen kleinen Bruder......“
Ihre Stimme wurde matt und verklang. Harit legte Tally eine Hand auf den Kopf.
„Du gehst jetzt besser wieder, junge Dame. Deine Mutter braucht jetzt viel Ruhe um Kraft zu sammeln.“
Tally nickte betrübt und ließ sich von der Amme aus dem Zimmer führen. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss und sie vergrub die kleinen Fäuste in den Seitentaschen ihres Kleides.
Greon war gegangen, als baldiger Vater des Nachfolgers war er dabei, die Festvorbreitungen für die Geburt seines Sohnes zu treffen. Und dass es ein Sohn werden würde, daran zweifelte niemand, monatelang war für nichts anderes gebetet worden, als dass die Götter dem Häuptlingspaar einen Erben schenken würden, der über die nächste Generation des Stammes herrschen würde.
Die Festlichkeiten würden beginnen, sobald das Kind geboren war, eine Woche und einen Tag lang.
Tally freute sich darauf. Die Abwechslung war ihr sehr willkommen, Wirbelwind, der sie war, kam ihr die behagliche Ruhe des kleinen Dorfes manchmal kaum auszuhalten langweilig vor. Selbst Kitara, ihre beste Freundin, die ebenfalls 7 Jahre alt war aber ruhig und besonnen und auch sonst das gerade Gegenteil der Häuptlingstochter, schaffte es nicht immer, Tallianas Hitzkopf unter Kontrolle zu halten.
Aber die Leute lächelten, wenn sie die beiden zusammen sahen, die kleine Kriegerin und die kleine Priesterin. Nur selten einzeln anzutreffen glichen sie sich gegenseitig aus und liebten einander wie Schwestern.
Tally strich sich eine schwarze Strähne aus den Augen, eine Geste, die sie wohl zwanzigmal am Tag ausführte. Wo Tara wohl steckte? Sie flitzte zur Haustür und trat in den abendlichen Sonnenschein. Leise summend lief sie quer über den gewalzten Hof zum Pferdestall.
Sie trat ein und sog genussvoll den warmen Heuduft durch die Nase ein. Hier fühlte sie sich immer wieder am wohlsten. Kein noch so gemütlicher Raum des komfortablen Häuptlingshauses konnte es aufnehmen mit dem warm duftenden Stall und seinen 5 Pferden, die leise schnaubend bei ihrem Eintritt die schönen Köpfe hoben. Markus, der junge Mann, der sich um die Tiere kümmerte hatte sie gerade erst in den Stall gebracht und nun kauten sie geräuschvoll ihren abendlichen Hafer. Tally ging die Boxen ab, bis sie zu ihrem Lieblingspferd kam, einem Falben namens Cilan.
Cilan gehörte ihr allein, seit sie 5 war und liebte seine kleine Herrin über alles. Auf ihm hatte sie reiten gelernt und dabei war sie mehr als einmal erstaunt gewesen über seine Sanftmut und seine Geduld.
Jetzt öffnete sie die Box und trat auf das knisternde saubere Stroh, das den Boden bedeckte.
Der Hengst schnaubte erfreut und vergrub die Nase in ihren Taschen, auf der Suche nach Leckerbissen, die sie ihm meist mitbrachte. Tally lachte und hielt ihm die Möhren hin, die sie mittags in der Küche hatte mitgehen lassen.
Während er sie knirschend zermalmte, schwang sie sich auf die Haferbox und schmiegte den Kopf an seinen warmen, weichen Hals. So saß sie lange Zeit da und streichelte die seidige Mähne ihres Pferdes.
Geraume Zeit später läutete im Haus die Abendglocke.

In dieser Nacht gebar Khara einen gesunden, starken Jungen. Er schrie wie am Spieß und noch in derselben Nacht kam das gesamte Dorf vorbei, um zu gratulieren, ihren Segen zu geben und den jungen Häuptlingssohn bestaunen zu dürfen.
Das Freudenfest, das zugleich seine Weihe werden sollte, begann am nächsten Morgen.
Anonym 185644
5 Beiträge
20.12.2015 19:10
2.

Der Himmel war so blendend klar, dass es Tally die Tränen in die Augen trieb, nach oben zu sehen. Der Tag war wie geschaffen für den Beginn der Festlichkeiten, das ganze Dorf war mit weißen und roten Blumen geschmückt, den Familienfarben der Häuptlinge.
Lange, schmale Holztische und -bänke waren auf dem kleinen Marktplatz und der Umgebung aufgestellt worden, seit Tagen war gekocht und gebacken, seit Wochen und Monaten gefischt, gebraut, gejagt, geräuchert und gesammelt worden und die Tische bogen sich unter der Last des Festmahls.
Der Stamm feierte nicht oft, denn das Leben war zu hart, um es sorglos zu leben und seltene Gelegenheiten wie diese wurden darum sehr begrüßt.
Am späten Nachmittag dieses ersten Tages waren alle Männer und viele der Frauen leicht benommen vom ungewohnten Genuss von Bier und Wein. Sie saßen in der beginnenden Dämmerung und unterhielten sich laut und angeregt, Greon hielt die Hand seiner immer noch sehr blassen aber glücklich aussehenden Frau und lachte in einem fort.
Die Kinder spielten an der großen Rotbuche und die leisen Töne der Harfen, die gespielt wurden, klangen sanft über die Menschenmenge.
Kaum jemand konnte sich an einen glücklicheren, friedvolleren Abend erinnern.

Niemand bemerkte die Schatten am Horizont. Der Himmel hatte in der letzten halben Stunde über den Drachenrücken eine blaurote dunkle Färbung angenommen, dennoch war die Silhouette deutlich zu erkennen...aber niemand sah sie.
Erst schien es ein einziger riesiger schwarzer Körper zu sein, der sich schnell näher bewegte, doch Meile für Meile, die der Abstand dahin schmolz hoben sich die Einzelheiten mehr heraus. Der Schatten teilte sich, teilte sich in Dutzende, schwere, längliche Umrisse mit gewaltigen Schwingen.
Es wurde kalt und man griff im Dorf nach den ersten Wolljacken. Ein paar Männer heizten das Feuer in der Mitte des Platzes noch einmal kräftig an und da, in der flimmernden Luft über den Flammen, sahen sie es endlich.
Am Himmel sich scharf abzeichnend sahen sie die Schatten heranstürmen und als sie erkannten, was es war, da schrieen selbst die Mutigsten vor Angst.
Zwar wurde Alarm gegeben, zwar eilten die Männer an ihre Jagdwaffen, zwar hechteten Frauen und Kinder zu den Kellern und in Richtung Wald, aber es war zu spät, viel zu spät.
Greon gab noch eine Zeitlang seine Befehle und versuchte verzweifelt, Panik und Chaos zu vermeiden, aber sie hatten keine Chance und er wusste es. Er stürmte quer über den Marktplatz auf seine Frau und seine Kinder zu, die zusammengekauert und weinend vor Entsetzen zum Himmel starrten und riss sie mit sich zum Dorfausgang - in Richtung Wald.
Sie waren da.
Die Drachen stießen nach unten, wie die leibhaftige Rache der Götter, ihr sengender Atem verbrannte in Sekundenschnelle jedes Haus und jedes Lebewesen zu kohlender Asche. Ruß schwärzte die Luft und erstickte die Lungen der Menschen. Der beißende Qualm machte das Atmen unmöglich.
Die vermummten Gestalten auf den Rücken der Ungeheuer schrieen Befehle in einer kehligen, furchteinflößenden Sprache und die Monster schienen zu gehorchen. Sie kreisten zwischen dem Rauch und den Schreien über dem Dorf, das schon jetzt lichterloh brannte und ihr Brüllen ließ die Erde erzittern.
Der Turm der winzigen Dorfkapelle, wo der Stamm seinen Göttern opferte und für eine gute Jagd betete, gab als erstes nach. Mit ohrenbetäubendem Getöse stürzte er in sich zusammen und begrub die Verzweifelten unter sich, die bei dem Schrein Schutz gesucht hatten.
Auch die anderen Häuser brachen jetzt zusammen und immer neuer heißer erstickender Qualm stieg auf, machte jede Sicht unmöglich und ließ die Menschen nach Atem ringend auf die kochende Erde sinken.
Dann, nach einem erneuten kehligen Ruf eines Reiters löste sich ein Tier aus der Schar, kreiste und sank schließlich erstaunlich geschmeidig zu Boden, sein Flügelschlagen ließ die Bäume bersten und brechen und als er etwas abseits des Dorfes aufsetzte, bebte der Boden. Der Drache peitschte brüllend die Luft mit seinen ungeheuren Schwingen und entwurzelte die uralte Rotbuche mit einem beiläufigen Treffer seines dornenbesetzten Schwanzes.
Er senkte den pfeilförmigen Kopf und sein Reiter sprang zu Boden. Die Gestalt war vollständig in Schwarz gekleidet, unter dem weiten, wehenden Umhang blinkte eine makellose Rüstung aus einem seltsam glatten Metall. Die Füße steckten in weichen Lederstiefeln mit Stulpen.
Dunkelbraune kalte Augen schweiften teilnahmslos über die schreiende Menschenmenge. Der Rest des fremden Gesichts war verborgen hinter der Kapuze, die dem Reiter das Atmen in dieser Hölle leichter machte.
Auf dem Rücken trug der Fremde eine Schwertscheide aus geschwärztem Leder.
Noch immer sah er sich wachsam um, schien etwas zu suchen.
Er machte ein paar Schritte und plötzlich verharrte er auf der Stelle. Wie von fremder Macht geleitet drehte sich sein Kopf in die Richtung, wo Tallianas Familie auf die Waldgrenze zustolperte. Seine Augen weiteten sich kurz und hefteten sich dann unablösbar auf die drei flüchtenden Menschen und das schreiende Baby.
Greon hatte sich mit seiner Familie fast bis zum nahe gelegenen Wald gerettet. Als er den fremden Krieger auf sich zukommen sah, übergab er seinen neugeborenen Sohn seiner weinenden Frau und zog sein Schwert. Tapfer aber todesmutig stellte er sich vor seine Familie und hob die Klinge.
Er kam nicht zum Schlag.
Der Fremde zog mit einer blitzschnellen Bewegung ein Zweihandschwert aus der Scheide auf seinem Rücken, schlug die Klinge seines Gegners beiläufig beiseite und dann zog seine Waffe eine lange tief klaffende Wunde quer über Greons Brustkorb. Der Häuptling schloss die Augen und dann fiel er langsam, fast elegant zu Boden. Er war tot, bevor er das verbrannte Gras berührte.
Khara schrie. Sie schrie und schrie, als wolle sie nie wieder aufhören. Gleichzeitig gaben ihre Beine nach und sie sank hilflos auf die Knie, die dunkelblauen Augen in Grausen wie gebannt auf den leblosen Körper ihres Mannes gerichtet. In ihren Armen weinte ihr noch namenloser Sohn erbärmlich und hustete heftig, als Rauch seine kleine Lunge füllte.
Tally stand da und rang vergeblich nach Luft, um auch schreien zu können, sie keuchte und sank neben ihrer Mutter auf ein Knie. Beißender Qualm zog herüber und nahm ihr gnädigerweise die Sicht auf den Körper ihres Vaters, und er nahm ihr auch die Sicht auf ihre Mutter. Weinend, halb wahnsinnig vor Angst und blind vor Tränen und Qualm rief sie nach ihrer Mutter, die fortwährend immer weiter schrie. Sie machte ein paar tastende Schritte, merkte aber, dass sie sich entfernt hatte. Als sie sich umdrehte, erklang plötzlich das scharfe Zischen von Stahl und Kharas Schrei endete in einem blutigen Gurgeln, das schnell erstarb. Das Mädchen blieb stocksteif stehen und versuchte verzweifelt, nicht ohnmächtig zu werden.
Durch den Rauch sah Talliana den unscharf umrissenen Schatten des Drachenreiters auf sich zukommen.
Nun fand sie auch sie Luft zum Schreien, sie schrie, als er vor ihr stehen blieb und sie schrie, als er nach kurzen Betrachten leicht nickte und das bluttriefende Schwert zurück in die Scheide gleiten ließ. Sie schrie und wehrte sich als er sie hochhob und mit ihr zurück zu seinem Drachen ging - doch es war, als würde sie sich gegen eine Maschine wehren.
Unbeirrt und ohne sich um ihr Schlagen und Treten zu kümmern hob er sie auf den Nacken des riesigen Tieres, sprang hinterher und rief etwas ihr unverständliches. Das Ungeheuer fauchte und begann sich mit mächtigen Schwingenschlägen in die Luft zu erheben. Tally klammerte sich notgedrungen an die ihr widerwärtigen rotgoldenen Schuppen, um nicht abzustürzen und sich den Hals zu brechen. Tränen strömten ihr über das kleine Gesicht als sie die Szenerie unter sich betrachtete.
Das kurze Intermezzo hatte höchstens 20 Min gedauert, doch inzwischen war Tallianas Dorf nur noch Schutt und Asche.
Irgendwo tönten Kriegshörner und die Drachen drehten ab. Sie formierten sich und flogen davon, wieder Richtung Norden, von wo sie gekommen waren.
Hinter sich zurück ließen sie ein völlig zerstörtes Dorf, das nur noch aus rauchenden Trümmern und verkohlten Leichen bestand. Mit sich nahmen sie die einzige Überlebende, Talliana Greonstochter, ab diesem Tag die einzige ihres Stammes und Auserwählte des Drachenvolkes.

Tscharmen
3968 Beiträge
23.12.2015 10:55
Huhu, wann gehts denn weiter? Bis jetzt find ichs ganz gut. Und was ist aus Tara geworden? Kommt sie später nochmal vor?

Anonym 185644
5 Beiträge
23.12.2015 12:09
Oh, mit Feedback hatte ich gar nicht mehr gerechnet
Ja, ich poste es weiterhin gerne, wenn es jemand lesen mag
Anonym 185644
5 Beiträge
23.12.2015 12:11
Die Jägerin

1.

Ich kann mich nicht mehr an sehr viel erinnern, das mit meiner Zeit zu tun hatte als Tochter von Greon und unschuldiges Kind. Ich weiß noch die Namen meiner Eltern, meines Pferdes und meiner besten Freundin, ich erinnere mich an die sanfte leise Stimme meiner Mutter und in manchen Nächten sehe ich Kitaras Gesicht ganz deutlich vor mir, auch jetzt noch, aber seltener.
In den ersten Monaten nach der Vernichtung meines Dorfes lebte ich in ständiger Angst und Einsamkeit. Niemand sprach zu mir über meine Vergangenheit oder beantwortete auch nur eine meiner flehenden Fragen nach dem Warum.
Man hatte mich in einem kleinen und recht kahlen Zimmer untergebracht, das jedoch mir allein zugeteilt zu sein schien. Zweimal am Tag wurde mir etwas zu Essen gebracht, einfache Mahlzeiten aus Brot und Fleisch, das Wasser, das man mir reichte schmeckte so klar und frisch wie nichts vergleichbares das ich je getrunken hatte.
Wenn ich weinte und tobte, weil Furcht und Trauer um Eltern und Freunde mein Herz überwältigten, wurde ich geschlagen, nicht gerade geprügelt aber die harten Hände der Frauen, die mich beaufsichtigten lehrten mich bald, meinen Kummer zu verheimlichen.
Ich war jung und so entschuldige ich die Tatsache, dass mein Zorn langsam begann, zu verrauchen und meine nächtlichen Tränen versiegten. Ich fühlte eine wachsende Neugier nach den seltsamen Wesen, die in meiner Erinnerung mindestens so furchtbar waren wie Dämonen aus den tiefsten Tiefen der Erdspalten. Aus dem kleinen Fenster meines Gefängnisses konnte ich nur graue Steine sehen, hier und da einige verkrüppelte Bäume und niemals ein menschliches Wesen. Das Licht, das die Kammer tagsüber durchfloss war dünn und wirkte seltsam kraftlos.
Als klar wurde, dass ich mich einigermaßen gefasst hatte, wurde mir ein anderes Heim zugeteilt. Nun, nach 3 Wochen Einzelunterkunft sah ich zum ersten Mal die ganze Größe der Heimat des Drachenvolkes, das bald mein Volk werden sollte. Nun, zumindest dachte ich das.
Durch die Tür meiner Kammer wurde ich von einer der stillen Frauen, die ich schon kannte (ihr Name war Serena, glaube ich) in etwas geführt, das mir auf den ersten Blick wie eine Unterwasserlandschaft vorkam. Das gleiche dumpfe Licht das ich aus meinem Zimmer kannte mischte sich mit dem Glühen unzähliger Fackeln, Öllampen und Laternen und verbreitete ein Dämmerlicht wie man es sonst nur aus Träumen kennt.
Noch heute erinnere ich mich an mein atemloses Erstaunen als ich nach oben blickte und feststellte, dass ich mich in einer Art riesiger Grotte befand, grauer Stein bildete zu allen Seiten eine Wand um einen Platz von mindestens 500 Metern an Durchmesser und obwohl die Wände schwindelhoch waren, konnte ich die Decke sehen. Schieferfarbene Stalaktiten hingen von ihr herab.
Das seltsame Unterwasserlicht wurde, wie ich mit offenem Mund feststellte von einer Art Kristalle hervorgerufen die an manchen Stellen aus den Wänden wuchsen, ihr blaues Feuer brach sich im schattigen Licht und verzauberte meine Augen.
Der Boden auf dem wir gingen schien eigenartig glatt, fast wie geschmolzenes Glas. Er sah warm aus, aber als ich mich bückte, und die Hand darauf presste, fühlte er sich so kühl an wie Tauwasser im Frühling. Die Luft, die meine Lungen füllte schmeckte mineralisch und war kalt, jedoch gab es hier keinerlei Luftzug.
Als ich mich an den Herrlichkeiten satt gesehen hatte, bemerkte ich die große Anzahl der Hütten, die ich damals für die Unterkünfte des gesamten Stammes hielt. Sie waren aus normalem Holz und Lehm erbaut, jedoch kunstvoller errichtet und größer als die Bauten die ich kannte, manche waren doppelt so hoch wie das Haus meines Vaters und ich weiß noch, dass ich mich erschrocken fragte, wer es denn wagen würde, so hoch oben zu wohnen.
Wie ich einige Zeit später erfuhr, war dies das Dorf der Jungfrauen und Anwärterinnen, nur ein Teil des tatsächlichen Stammes, der seinen Hauptsitz in einer fast ebenso großen Grotte weiter innen im Berg hatte.
Hier, im Haus der Jungfrauen lieferte man mich ab und für die nächsten Jahre war dies meine Heimat.
Ich glaube nicht, dass ich wirklich eines der anderen Mädchen so gern hatte wie damals Kitara - aber ich war wenigstens nicht mehr allein. Nach und nach vergaß ich über dem unbeschwerten Alltag und meinen selbstverständlichen Pflichten meine Vergangenheit. Manchmal, aber diese Momente wurden sehr selten, lag ich nachts wach, lauschte auf die gleichmäßigen Atemzüge der anderen Mädchen und dachte an meine alte Familie - und als ich merkte, wie verschwommen die Erinnerungen waren spürte ich wieder die Tränen aufkommen. Doch ich kämpfte dagegen an. Seit damals habe ich nicht mehr geweint. Das ist etwas, was man mir als erstes abgewöhnte.
Im Drachenvolk weint man nicht. Alles geschieht nach dem Willen der Götter. Das Schicksal zu betrauern gilt als Schwäche, wahre Stärke zeigt diejenige, die ihre Toten ehrt, nicht beweint.
Das lehrte man mich hier - und es war eine bittere Lektion....


Eisig kalter Wind heulte über den von der Zeit zerfressenen Berghang. Ein paar zerlumpt aussehende Raben flogen krächzend zwischen messerscharfen Steinen umher und hackten missmutig nach ihren Artgenossen. Der Boden war frei von Schnee, denn der Winter war für diesen Bereich des Eislandes ungewöhnlich warm und kurz gewesen. Etwas weiter oben am Abhang lösten sich unter den unsicheren Tritten eines kleinen Pferdes einige Steine und polterten lärmend und Geröll mit sich reißend den Berg hinab.
Die Reiterin des Tieres, in einen dunkelblauen Wollumhang gehüllt, fluchte leise und undeutlich und handelte sich damit einen bösen Blick der vor ihr reitenden Gestalt ein.
Sie verfluchte die Ungeschicklichkeit des kleinen Tieres, das zu reiten ihr Rang ihr erlaubte und wünschte sich wieder einmal brennend, endlich eines der durchtrainierten ruhigen Tiere zugeteilt zu bekommen wie die zwei Frauen vor ihr. Der schwerste Teil aber war überstanden.
Die drei Reiterinnen ritten noch eine Weile schweigend weiter auf dem schmalen Grat den Berg hinunter und die hinterste atmete schließlich erleichtert auf, als die Hufe ihres Ponys weicheren Boden betraten aus dem hier und da trockene Grasbüschel wuchsen.
Die Anführerin zügelte ihr Pferd und die beiden schlossen zu ihr auf. Alle drei Frauen schlugen ihre Kapuzen zurück und gaben ihre Gesichter dem scharfen Wind preis. Automatisch suchten die drei Augenpaare den Boden ab.
„Jo ten“ sagte die Mittlere leise.
Die Älteste nickte.
„Ja, sie ist hier vorbeigekommen. Talliana, schätze die Zeit.“
„Ja, Karai.“
Die Jüngste glitt geschmeidig von ihrem Reittier und ließ sich auf ein Knie nieder. Eine Weile betrachtete sie den Boden und untersuchte die Hufspuren, die sich in dem harten Lehm abgezeichnet hatten.
Schließlich blickte sie auf und Zweifel vibrierte in ihrer dunklen Stimme.
„Etwa einen Tag, vielleicht länger aber wohl nicht viel kürzer.“
Karai nickte. Sie war eine hochgewachsene schlanke Frau über dreißig mit wettergegerbtem, hagerem Gesicht und stechenden Augen wie die eines Falken. Ihre langen nussbraunen Haare hielt ein schmales Lederband im Nacken locker zusammen, wie bei den beiden anderen Frauen auch. Sie trug enganliegendes Leder das durch langes Tragen so weich geworden war wie Wolle. Auf dem Rücken trug sie einen Kurzbogen, die übliche Waffe der Jägerinnen, am Sattelknauf ihres Pferdes baumelte der Köcher.
Sie blickte die junge Frau mit einem Blick an, der weder freundlich noch feindselig war.„Ja, das stimmt wohl in etwa. Das ist die Zeit, zu der man sie losreiten sah.“
Talliana stand überrascht auf.
„Wenn du es wusstest - warum hast du mich dann......“
Sie schwieg, als ihr klar wurde, wie töricht diese Frage war. Karai nickte wieder.
„Sitz auf. Noch keine Pause.“
Die junge Frau schwang sich wieder in den Sattel und biss sich auf die Lippen.
„Karai?“
Die Jägerin zeigte ihr durch ein kurzes Kopfnicken, dass sie sie hörte.
„Hm...wenn ihr schon vor einem Tag wusstet, dass sie fort ist, wieso verfolgen wir sie erst jetzt?“
Nun drehte Karai den Kopf.
„Befürchtest du, dass wir sie nicht einholen, Talliana?“
„Sie hat einen gewaltigen Vorsprung.....“
„Sie hat keine Chance.“
Diese Worte, so emotionslos gesprochen und absolut sicher ihrer selbst jagten der jungen Frau einen leichten Schauder über den Rücken.
Die mittlere und schweigsamste Reiterin drehte ihr freundliches Gesicht zu Talliana hin.
„Sei ruhig mein Kind. An´tra é josu. Die Götter sind mit uns. Du wirst es sehen.“
Sie nickte noch einmal, mehr zu sich selbst als zu den beiden Frauen und richtete den Blick ihrer grauen Augen auf den sich scharf abzeichnenden Horizont.
„An´tra é josu.“
Zu weiteren Fragen blieb Talliana keine Gelegenheit mehr, denn Karais Pferd fiel nun in gestreckten Galopp und die drei Frauen senkten die Köpfe um dem eisigen Wind auszuweichen. Trotzdem fühlte Talliana, während die grüner werdende Steppe neben und unter ihr dahinschoss, wie ihr Gesicht begann, gefühllos zu werden. Sie dankte den Göttern für die dick gefütterten Handschuhe, die ihr zu Anbeginn der Reise gegeben worden waren.
Es war ein seltsamer Aufbruch gewesen, sehr steif und formell, als ob sie zu ihrer eigenen Beerdigung ritte. Tally hatte auf diesen Tag hingefiebert, hatte von ihrer Chance, ihrer Prüfung geträumt und sich darauf vorbereitet seit sie 12 war.
Nun zählte sie 17 Winter und war bereit, vom Kind zur Jägerin zu werden. Sie war so gut wie sicher, dass dies ihre Prüfung war. Warum sonst hätte man sie Karai mitgegeben?
Tally beugte sich noch tiefer über den Hals ihres Pferdes und presste den ebenfalls ausnahmslos in weiches Leder gekleideten Körper an den warmen Leib des Tieres.
Sie zog sich den Mundschutz bis dicht unter die Augen und kämpfte gegen die Kälte an.
Sie verstand dies nicht.
Jusu hatte einen Tag Vorsprung. Sie konnten sie nicht einholen. Schließlich wusste die Frau, die sie verfolgten, um die Schnelligkeit ihrer Pferde und würde reiten, bis sie entweder in Sicherheit war oder tot aus dem Sattel fiel.
Sie hatte keine Alternativen mehr.
Wer das Volk verriet, der hatte die Wahl ehrenhaft selbst Hand an sich zu legen oder er wurde gejagt.
Jusu wusste das - und war geflohen.
Talliana war nicht ganz klar, was sie wirklich getan hatte aber es musste geradezu abscheulich gewesen sein. Im Volk wurde über Jusu entweder gar nicht gesprochen oder man tat einfach so, als sei sie vor langer Zeit gestorben. Direktes Fragen nach ihr hatte Talliana nur seltsame Blicke eingebracht, so dass sie es schließlich aufgab, nach einer Antwort zu suchen.
Wieder stellte sich die Sinnlosigkeit dieser Jagd hartnäckig in den Vordergrund ihrer Gedanken.
Gehörte es zu ihrer Prüfung, dass sie diesen nutzlosen Ritt mitmachte ohne sich zu beklagen?
Oder erwartete man von ihr, klaren Verstand zu beweisen und auf dem Abbruch der Verfolgung zu bestehen? Bei dem Gedanken an Karais kalte Raubvogelaugen bezweifelte sie jedoch, dass sie genug Mut hatte, Einwände klar hervorzubringen.
Und dann Sivai. Verdonnert auch, die Frau war eine Priesterin! Wieso belastete man sie und Karai mit ihr?
Sie warf einen verstohlenen Blick zur Seite. Sivai hatte sichtliche Mühe, das sehr scharfe Tempo durchzuhalten, sie würde es nicht schaffen bis Sonnenuntergang, wozu Tally und Karai mühelos fähig waren.
Sie hatten inzwischen die Ebene der Steppe erreicht und Tally sah aus dem Augenwinkel, wie Karai das Zeichen gab, das Tempo noch weiter zu erhöhen. Entsetzt wollte sie schon einen Einspruch rufen, als eine merkwürdige Dumpfheit ihren Kopf benebelte.
Sie blickte nach links und sah erschrocken, dass Sivai mit hochaufgerichtetem Oberkörper und ausgebreiteten Armen auf ihrem Pferd saß.
Der Wind beutelte ihren kleinen Körper heftig und es sah aus, als könne sie sich nicht eine Sekunde länger nur auf dem Pferd halten. Sie würde fallen und sich alle Knochen brechen. Seltsamerweise jedoch geschah dies nicht.
Die eigenartige Benebelung ihres Geistes nahm zu, Tally fühlte sich wie berauscht und blinzelte verzweifelt um das Schwindelgefühl zu vertreiben. Sie schwankte heftig und die Zügel glitten ihr aus der Hand.
Vor ihren verwirrten Augen schien die Priesterin auf ihrem Pferd zu glühen und in einer wabernden Aura aus dunkelblauem Licht zu verschwimmen.
Talliana fühlte, wie ihr Kopf schwer wurde. Verwirrt versuchte sie, die Fassung über sich wiederzugewinnen und kämpfte heftig gegen die Betäubung an, die ihren Körper und ihren Geist ergriff. Unter ihr schnaubte das Pferd angsterfüllt und der Schweiß trat ihm auf die Flanken, als die drei Reiter über die Steppe jagten. Irgendetwas zog und zerrte an der jungen Frau, riss an ihr, sog sie fort und drohte, sie zu verschlingen.
Da war plötzlich Karai neben ihr und ihre kühle Hand ergriff die Zügel von Tallianas Pferd. Ihre scharfe Stimme drang sogar durch die dicke Mauer aus Entsetzen, die das Mädchen umgab.
„Wehr dich nicht. Lass es fließen. Wehr dich nicht, sonst zerreißt es dich.“
Tallys Hände flogen nach oben und pressten sich gegen ihre Schläfen, hämmernde Schmerzen, das entsetzliche Gefühl, zerrissen zu werden machte sie schier wahnsinnig.
Und dann, ganz plötzlich öffnete sich ein Tor in ihrem Innern. Sie spürte den Ruck, als es aufflog und beinahe sofort fühlte sie, wie der Druck nachließ.
Tally schloss die Augen.
Sie würde nicht versagen. Grimmig spannte sie einen Moment ihren gesamten Geist an - und öffnete dann die mentalen Schleusen, gleichzeitig und vollkommen. Die Wucht des Stromes riss sie fast vom Pferd aber schon nach einer halben Sekunde waren die Schmerzen und die Qual vorbei, als hätten sie nie existiert.
Stille breitete sich aus in ihr und auch um sie herum. Sie öffnete die Augen und sah so klar wie nie zuvor.
Links und rechts neben ihr waren Karai und Sivai, beide hatten die Augen geschlossen. Sie standen vollkommen still. Auch ihre Pferde waren in der Bewegung verharrt, Tally sah deutlich den Schaum, der von den Nüstern troff, wie in der Zeit angehalten, eingefroren. Sprachlos blickte sie nach unten und sah die Mähne ihres eigenen Tieres in der Luft schweben, einen Meter darunter verharrten die Hufe Zentimeter über dem Boden.
Talliana rang ehrfürchtig nach Atem. Sie hatte wohl von der alten Magie gehört, aber dies war das erste Mal, dass sie so direkt damit in Kontakt kam.
Die Stille, die sie umgab, war unendlich und vollkommen. Die junge Frau spürte ihren eigenen Atem so deutlich und so laut wie nie zuvor. Wie durch Nebel sah sie außerhalb der Korona aus Schatten, die sie umgab, wie die Steppe kaum erkennbar als Schemen an ihr vorbeihuschte, tausendmal schneller als man es von einem galoppierenden Pferd aus sah. Dutzende von Kilometern brausten innerhalb eines halben Augenschlags an den Reiterinnen vorbei und verwischten die Welt zu einem grauen Nebel aus Schemen.
Und dann, ganz plötzlich, war der Moment vorbei.
Das erste, was sie spürte, war der kalte Wind in ihrem Gesicht.
Hufschläge und Schnauben tönten gegen die Wand aus Nebel vor Tallianas Bewusstsein.
Sie erkannte undeutlich, dass sie wieder in normalem Tempo ritten, Karai zügelte sogar zu einem schnellen Trab. Die beiden älteren Frauen blickten sie an und schienen auf eine Reaktion zu warten.
Tally schnappte nach Luft und starrte ungläubig auf den Sattelknauf ihres Pferdes.
„Was.....was bei den Drachen WAR das?“
Karai wies statt einer Antwort mit einem sehnigen Arm nach vorne.
Die junge Frau blinzelte mehrmals und schirmte die Augen mit einer Hand ab. Tatsächlich.
Ein Reiter vor ihnen, nicht sehr weit entfernt. Allein.
„Ju...Jusu?!“
Karai nickte grimmig.
„Sivai, bleib zurück. Wir erledigen den Rest.“
Die Priesterin nickte erleichtert. Sie sah sehr erschöpft aus und zügelte ihr Pferd dankbar. Mühsam stieg sie ab und reichte Talliana die Zügel ihres Tieres. Tally wechselte das Pferd mit großer Erleichterung. Sivai klopfte dem Pony, das die junge Kriegerin bis dahin geritten hatte, freundlich den Hals und nickte Karai zu.
Die beiden anderen Frauen beugten sich wortlos über die Hälse ihrer Pferde und verfielen in das äußerste Tempo, das die Tiere hergeben konnten.
Tally spürte ein leichtes Prickeln in ihrem Rückgrat. Dies war nun bitterer Ernst. Der magische Part war vorüber nun kam......der andere.
Jagdinstinkt erwachte in einem dunklen Teil von ihr und ihre schwarzen Augen hefteten sich auf die Reiterin vor ihnen. Die Gejagte. Die Beute. Nichts anderes mehr.
Als sie auf etwa 800 Schritt herangekommen waren, wandte Jusu erstmalig den Kopf. Tally konnte sehen, wie sie sich entsetzt vorbeugte und ihrem Pferd die Fersen in die Flanken drückte.
Doch sie ritt eines der gewöhnlichen Reittiere, ihre Verfolgerinnen saßen auf trainierten Rennern, die eigens für lange Jagden gezüchtet wurden. Der Abstand schmolz schnell dahin.
Als die Distanz gering genug war, zog Karai, ohne das Tempo zu verlangsamen den Kurzbogen von ihrer Schulter und legte an. Sie zielte sorgfältig und ruhig und als der schwarz gefiederte Pfeil die Sehne verließ, wusste Tally, dass er sein Ziel treffen würde. Karai war einer der besten Schützinnen, die das Volk der Drachen je hervorgebracht hatte.
Ein kurzer, rauer Schrei und vor ihnen fiel Jusu zusammengekrümmt vom Pferd in den Staub. Ihr Reittier bäumte sich auf und tat einige verrückte Sprünge zur Seite, wo es mit bebenden Flanken und hängendem Kopf stehen blieb.
Sekunden später waren die Verfolgerinnen neben ihr und sprangen von ihren Tieren. Kleine Staubwölkchen wirbelten unter ihren Stiefeln auf. Ihre Gesichter schienen wie aus Stein gemeißelt.
Jusu lag auf der Seite auf den harten Boden, der Pfeil stak in ihrer linken Schulter. Als sie die beiden Frauen sah, begann sie, wüste Beschimpfungen auszustoßen.
„Sessan! Ich wusste, dass sie mir Jägerinnen hinterherschicken würden. Aber dass es ausgerechnet DU sein musst, Karai. Geh zur Hölle du herzloses Miststück, hörst du mich? Geh zur Hölle!“
Karai starrte mit ausdrucksloser Miene auf sie hinunter.
„Jusu Virgastochter, dein Verbrechen ist Verrat an unserem Volk. Du bist nicht länger eine Jägerin. Du hattest nicht den Mut, dich selbst zu töten, wie es das Gesetz von dir verlangt, also wirst du ehrlos sterben, wie die Verbrecherin, die du bist.“
Jusus Worte waren nur noch Gestammel, verzerrt von Wut und Schmerzen, triefend vor Hass.
„Niemals.....niemals hättet ihr das tun dürfen.....ich werde euch nie verzeihen........“
Karai beugte sich ungerührt über sie und zog mit dem linken Zeigefinger das Zeichen der Klaue über Jusus Gesicht. Tally erschauerte ehrfurchtvoll.
Die blutende Frau erstarrte bei dieser Geste unter Karais Hand. Zum erstenmal spiegelten sich Entsetzen und Furcht in ihren Augen und die Erkenntnis um ihren baldigen Tod färbte ihre schönen Augen dunkel.
Die Jägerin richtete sich auf und trat einen Schritt zur Seite, ruhig blickte sie Talliana ins Gesicht.
Die junge Frau schluckte. Jetzt war es an ihr, sich zu beweisen. Sie kniete nieder und zog aus ihrem rechten Stiefel eine kleine scharfe Klinge, die jede Frau stets bei sich trug. Sie bestand aus dem eigenartig schimmernden Metall, dass die Frauen vom Volk tief aus dem Leib des Berges gewannen und war in Form einer Kralle geschmiedet worden..
Sie blickte auf Jusu herab und beschwor die Götter inständig um Kraft. Die Verräterin war schon tot. Sie war einmal gestorben als sie das Volk hinterging, sie war ein zweites Mal gestorben, als Karai ihr Gesicht mit der Klaue zeichnete.
Nun würde sie ein drittes Mal sterben und mit ihr der Körper, der sie beherbergte.
Tally spürte den bohrenden Blick Karais im Rücken. Wieder einmal konzentrierte sie sich auf den dunklen Teil in ihr, den Teil der hetze und jagte, der seine Beute gnadenlos verfolgte und schließlich zur Strecke brachte. Sie sog einmal tief und lange den Atem ein und stieß ihn mit geschlossenen Augen wieder aus.
Sie suchte den zornigen, trotzigen Blick der todgeweihten Frau vor ihr.
Dann, mit einer plötzlichen Ruhe, die tief aus ihrem Inneren kam, kniete sie nieder, setzte das Messer an den Hals der Verbrecherin und teilte ihr mit einer fließenden Bewegung die Gurgel.
Sie sprang rasch auf und beiseite um nicht besudelt zu werden, als das warme Blut aus der klaffenden Wunde schoss und die Erde dunkel färbte. Schweigend, die Hand um den Dolch geklammert betrachtete sie die Sterbende, die den Boden mit ihrem Lebenssaft nährte. Jusus Augelidern flatterten - dann standen sie still. Sie war lautlos gestorben.
Leise horchte Talliana in sich hinein und hörte ein leises Springen, wie von Glas, fast körperlich zu spüren tief in ihrer Brust. Zum ersten Mal war ein Mensch durch ihre Hand gestorben. Eine berauschende Woge wallte in ihr auf, füllte sie mit Wärme und pulsierte in ihren Adern.
Ein seltsames Hochgefühl ergriff Besitz von ihr und es dauerte eine kleine Weile, bis sie erkannte, dass es Macht war, die sie fühlte, reine und herrliche Macht. In genau diesem Moment wusste sie, mit absoluter Bestimmtheit, dass dies das war, wozu sie geboren wurde.
Gleich, welche Entscheidung das Volk über ihre Prüfung treffen würde, sie war genau dies, Jägerin, Raubtier, und dies war das einzige, was sie ganz und gar erfüllen konnte.
Und zum ersten Mal in ihrem Leben, das erste Mal von vielen legte sie den Kopf in den Nacken und fühlte, wie absolute Erfüllung durch sie hindurch floss, Macht und Stärke sich vereinten und zu einem neuen Teil von ihr wurden. Ihr Mund öffnete sich und ein unmenschliches leises Grollen klang aus ihrer Kehle empor, in den Augenwinkeln sah sie, wie Karai unwillkürlich zurückzuckte.
Nichts, absolut nichts sollte ihr je wieder solche Erfüllung geben wie der Akt des Tötens, des Reißens der Beute, des Sieges. Des Triumphes.

Als sie schließlich den Kopf wandte und Karai ansah, schien es ihr, als hätte sich auch ihre äußere Sichtweise gewandelt.
Die Jägerin vor ihr war eine Frau am Rande des Altwerdens und um ihre Augen, die Tally mit irgendwie seltsamem Ausdruck musterten, zogen sich Fältchen.
Wie konnte sie sie nur je gefürchtet haben?
Sie war jetzt die Stärkere, die jüngste Kriegerin und bald würde man ihr gebührenden Respekt erweisen müssen.
Die Zeit der Jugend war vorbei. Das spürte sie so deutlich wie den Wind in ihrem Gesicht. Sie starrte die Jägerin an und fühlte, wie ihre Augen in den Höhlen brannten.
Karai wich dem Blick der Jüngeren nach ein paar Sekunden aus und wandte sich von der Toten ab.
„Wir reiten.“
Talliana verzichtete auf eine Erwiderung. Beide saßen auf und ließen den toten Körper Jusus zurück als Futter für die Aasgeier und Berglöwen, die bald kommen würden, denn einer Verräterin gebührte kein Begräbnis. Karai führte Jusus Pferd am Zügel.
Nach kurzem Ritt trafen sie wieder auf Sivai, die sie erwartete. Die Priesterin hatte genug Verstand, um nur einmal in Tallianas nach innen gekehrte, glänzende Augen sehen zu müssen und keine weiteren Antworten zu benötigen.
Während die Sonne langsam den Horizont berührte, wandten sich die drei Reiterinnen wieder dem Gebirge zu, das in der Ferne aufragte.
Die Aufgabe war beendet. Die Jägerinnen kehrten heim.
Mäuschen20
605 Beiträge
23.12.2015 12:12
Ich finds bis jetzt schon richtig gut
Hoff es gibt bald wieder was zum lesen.
Bin schon gespannt wie es weiter geht.

Edit: war zu langsam mit schreiben, hast ja schon wieder geschrieben
zetten
14302 Beiträge
23.12.2015 13:50
Das ist sehr schön und fesselnd geschrieben
LanieUndJamie
2960 Beiträge
23.12.2015 17:51
Tscharmen
3968 Beiträge
07.01.2016 16:44
Wann gehts denn weiter?
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