Mütter- und Schwangerenforum

>>> "Sommerregen" von Elisa <<<

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Elisa
20106 Beiträge
28.10.2012 21:12
Kapitel 7

Es war ein Montagmorgen in den Weihnachtsferien als sie unsanft von ihrer Mutter geweckt wurde. „Sophia, wach auf! Bitte wach auf, Liebes!“ Sophia war noch völlig verschlafen als ihre Mutter sich neben sie aufs Bett setzte und ihr durchs Haar strich. „Du musst jetzt sehr stark sein…“
Sophia saß auf ihrem harten Parkett im Zimmer und konnte nicht aufhören, sich zu kneifen, hin und her zu schaukeln und zu weinen. Sie fühlte sich taub. Ihre Handrücken waren blutrot von den Kniffen, doch sie spürte es nicht. Dann legte sie sich auf den Boden und stieß mit ihrem Kopf einmal fest gegen das Parkett. Sie spürte die Erschütterung, doch der Schmerz drang nicht zu ihrem Bewusstsein durch. Ihre Tränen gingen in ein markerschütterndes Weinen über und sie biss sich gleichzeitig in zwei Finger. Ihre Zähne drückten ihre Finger so fest zusammen wie es nur ging. Sie spürte die Knöchel, doch sie biss noch fester zu. Sie bekam so eine Wut, dass sie das Bedürfnis hatte, sich die Finger abzureißen. Sie ekelte sich vor sich selbst. Jegliche Berührung machte sie nur noch aggressiver. Als ihre Mutter sie in den Arm nehmen wollte, stieß sie sie mit aller Kraft von sich fort.
„Markus hatte einen Unfall“, begann ihre Mutter. „Er hat es nicht geschafft, Schatz.“ Ihre liebliche und fürsorgliche Art machten Sophia wütend. Die Worte klangen hohl in ihrem Kopf. Jegliche Gedanken und Gefühle wichen aus ihrem Körper. Lediglich die Wut blieb bestehen. „Was redest du da, Mama?“, keuchte Sophia und sah ihre Mutter mich hoch gezogenen Augenbrauen an. „Markus ist tot, Liebling, verstehst du denn nicht?!“, die Stimme ihrer Mutter klang leicht schrill während sie ihre Tochter mit beiden Armen an den Oberarmen festhielt. „Lass mich!“ Sophia schlug um sich und sprang aus ihrem Bett auf. „Es tut mir so leid, Hase.“, stammelte ihre Mutter. Dann verließ sie den Raum.
Über eine Woche inklusive der Weihnachtsfeiertage schloss Sophia sich in ihrem Zimmer ein. Ihre Mutter brachte ihr regelmäßig etwas zu essen und zu trinken, doch Sophia rührte es nie an. „Warum soll ich essen und trinken dürfen, wenn er es nicht darf?“, schrie sie ihrer Mutter einmal entgegen nachdem diese sie zum Essen drängte. Die Zeit blieb stehen. Nichts machte mehr einen Sinn für sie auf diesem Planeten. Diese Leere fraß sie langsam auf. Sie vernachlässigte sich vollends. Die Haare waren ungekämmt und strähnig, sie trug über eine Woche lang das gleiche Top und Jogginghose. Dabei lag sie meistens auf dem kalten Parkettboden. Die Heizung macht sie kein einziges Mal an. In ihrem Zimmer herrschten eisige 13°C, doch das spürte sie nicht. Ihre Hände schmerzten noch immer leicht. Sie waren von den Kniffen und Bisschen entzündet.
Einen Tag vor Silvester klopfte es an ihrer Zimmertür. Es war Zeit für das Mittagessen. Ihre Tür hatte eine Glasscheibe, die allerdings mit einem Stoff verdeckt wurde. Jedes Mal, wenn es an der Tür klopfte, sah sie nun zuvor hindurch. So wie in dem Moment. Zu ihrer Überraschung stand Alex vor ihr. Mit verschränkten Armen sah sie sie grimmig an. Das Herz rutschte ihr in die Hose. „Dich gibt’s auch noch?“, fragte Alex barsch. „Was willst du hier?“ – „Ich wollte meine Freundin mal besuchen…“ Stille machte sich zwischen den beiden breit. „Bitte geh wieder!“ Sophia tritt von der Tür weg und setzt sich wieder auf den Boden während sie ihre Beine dabei anwinkelt. „Okay, dann machen wir es anders“, begann Alex. „Ich bleibe einfach hier draußen stehen mit deinem Essen, mache es mir gemütlich, gibt übrigens Bratwurst, und wir reden einfach so über den Sinn des Lebens.“ Sinn des Lebens, dachte sich Sophia und stieß ein Schnauben von sich. Sie sprach kein Wort. „Gut, also dann fange ich mal an: Als meine Eltern sich trennten, da dachte ich, dass das Leben vorbei sei. Die beiden waren alles für mich und dann?! Wurde ich einmal in der Mitte geteilt.“ Sophia konnte sich sehr gut an die Zeit erinnern und ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie fühlte Mitleid, doch gleichzeitig fragte sie sich, weshalb Alex davon sprach. „Du kannst dich sicher dran erinnern, wie ich drauf war. Ich weiß es noch ganz genau, Püppi. Es war natürlich nicht so krass wie bei dir und im Gegensatz zu dir habe ich mir nicht so stark geschadet wie du es tust, aber einen Sinn sah ich nicht mehr in meinem Dasein.“, Alex sprach ernst, aber auf ihre eigene Art, die etwas Sarkastisches an sich hatte. Stille. „Mann Alex, was soll das? Was hat das mit mir zu tun?“, platzte es aus Sophia heraus, die erneut in Tränen ausbrach. Alex ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. „Ich will damit sagen, dass du nicht allein bist und dir niemand etwas Böses will. Du musst dich wieder aufraffen!“ – „Markus ist tot! Du weißt überhaupt nicht, wie sich das anfühlt. Er wollte doch nicht gehen!“ Stille herrschte auf der anderen Seite der Tür. Sophia hörte mit ihrem Schluchzen auf, um zu hören, ob Alex noch da war. „Lass mich rein!“, befahl Alex. Es arbeitete in Sophias Kopf. Ihre Gedanken überschlugen sich und sie schlug mit der geballten Faust fest gegen die kalte Wand. Dann stand sie auf, hasste sich dafür, dass sie nachgab und drehte den Schlüssel um. Ohne selbst die Tür zu öffnen ging sie wieder an ihren Platz auf dem kalten Boden zurück. Ihr Hintern fühlte sich schon ganz taub an. So wie alles in ihr. Alex kam herein und schloss die Tür hinter sich mit dem Tablett in einer Hand. „Ist echt lecker! Hier, iss jetzt was.“ Sophia war schockiert über Alex’ Gelassenheit und starrte sie mit großen Augen an. „Du hast doch wohl nicht erwartet, dass ich dich jetzt in den Arm nehme und wie ein Baby wiege?!“, fragte Alex skeptisch, wenngleich belustigt und einer Kartoffel im Mund. Sophia zuckte nur die Schultern. Alex setzte sich ihr Gegenüber und schob das Tablett zu ihr herüber. Sophia nahm die Gabel in die Hand. „Du hast dich ja schon gut bedient.“, bemerkte Sophia und musste grinsen. „Ich habe doch gesagt, dass es lecker ist und meine Mum kann nicht kochen!“, witzelte Alex. Sophia stach in eine Kartoffel und biss ein Stück ab. Noch nie hatte eine Kartoffel für sie so gut geschmeckt und sie spürte, wie ihr Magen wieder anfing zu krampfen wie zu Beginn der Woche. Der Hunger kam, doch sie zügelte sich. Sie wollte sich vor Alex nicht die Blöße geben und wie ein wildes Tier essen. „Meine Güte, du siehst echt richtig mies aus, Prinzessin!“, meinte Alex entsetzt. „Weißt du eigentlich, was heute für ein Tag ist?“, fragte sie dann. Sophia schüttelte nur mit dem Kopf. Plötzlich schossen ihr die Tränen in die Augen. „Was ist denn nun?“, fragte Alex. Sophia war unfähig zu sprechen. Die Kartoffel blieb ihr im Hals stecken und sie spürte unbändige Übelkeit in ihr aufsteigen. Sie fühlte sich schlecht. Sophia sprang auf und rannte zum Badezimmer, das direkt neben ihrem Zimmer war. Rechtzeitig gelangte sie zur Toilette und übergab sich. Sie fühlte sich so schuldig! Und während sie sich übergab, weinte sie bitterlich. Alex kam ihr schnell hinterher und hielt ihr die Haare aus dem Gesicht und strich leicht über ihren Rücken. Sophias Wut war schon lange gewichen und sie fühlte sich einfach nur noch hilflos und schwach. Pure Verzweiflung stieg in ihr hoch. Sie spuckte nur noch Magensäure, die ihr noch mehr Übelkeit und Ekel brachten. Alex klemmte ihre Haare in ihr Top und begab sich dann zum Waschbecken, um einen Waschlappen nass zu machen. Dann kam sie wieder herüber und strich ihr damit über die Stirn und den Nacken. Erst jetzt merkte Sophia, wie sehr sie schwitzte und ihr war urplötzlich eiskalt. Sie hing noch immer über der Toilette und atmete den sauren Geruch ihres Mageninhalts, der eigentlich nur aus Magensäure bestand, ein. Sie war unfähig sich zu bewegen. Alex fuhr ihr mit dem Waschlappen kurz übers Gesicht und dann den Mund. Dann ging sie wieder herüber zum Waschbecken. Sophia atmete schnell. Sie war erschöpft. Kurz darauf kam ihre Mutter, die zwar besorgt schaute, doch Alex machte eine Geste, mit der sie ihr bedeutete, dass sie alles unter Kontrolle hatte. „Zu schnell gegessen.“, bemerkte sie. Dann ging ihre Mutter wieder. Sophia konnte wieder einen klaren Gedanken finden. „Am besten gehst du mal richtig heiß duschen, Püppi.“, hörte sie von Alex. Sophia nickte wortlos.

Die heiße Dusche tat unheimlich gut. Sie ließ das Wasser einfach an sich herunter laufen und schloss dabei die Augen. Mit einer Hand stütze sie sich gegen die kalte Duschwand und streckte den Kopf in Richtung Wasserstrahl. Das warme Wasser prasselte auf ihr Gesicht und nun spürte auch sie wie die Wärme in ihrem Innern zurückkam. Nur ein wenig, aber ein Anfang. Leichte Kopfschmerzen kamen und das erste Mal nach über einer Woche spürte sie körperliche Schmerzen. Mit einem traurigen Lächeln stieg sie aus der Dusche. Ihre Hände brannten leicht. Sie waren noch immer ziemlich entzündet und ihre zwei Finger waren an den Stellen, an denen sie zubiss, helllila.

Alex kämmte Sophia die Haare, die noch immer verfilzt waren und stumpf. Dann föhnte sie sie leicht an. In der Zeit cremte Sophia ihren Körper ein. Die beiden Freundinnen saßen in Sophias Zimmer vor dem Spiegel. Sophia wagte allerdings nicht in den Spiegel zu sehen. „Also weißt du nicht, was heute für ein Tag ist?“, begann Alex sanft. „Nein, sollte ich?“ – „Ich fand es wichtig, dass du weißt, was heute ist.“ Alex stockte und holte dann einmal tief Luft. „Heute ist Markus’ Beerdigung.“, rasselte sie in einem Atemzug herunter. Sophia hielt die Luft an. Als sie wieder zur Besinnung kam fragte sie „Schon?“. „Ja, Püppi.“ In Alex’ Stimme hörte man deutlich die Trauer. „Vielleicht wolltest du dich von ihm verabschieden. Also du musst nicht! Aber ich dachte halt nur…“ – „Das klingt gut.“, unterbrach Sophia ihre Freundin mit müder Stimme. Alex stellte den Föhn aus und beugte sich zu Sophia vor. „Das finde ich sehr stark von dir, Prinzessin.“ Sie drückte ihre Wange an die von Sophia. Diese schloss die Augen und Tränen stiegen in ihr auf. Sie kniff die Augen ganz fest zusammen, ihr Kinn bebte und dann atmete sie einmal tief ein und aus. Alex stellte wieder den Föhn an und fuhr durch ihr Haar. Dann öffnete Sophia ihre Augen und blickte sich direkt im Spiegel an. Sie war über den Anblick, der sich ihr bot, schockiert. Ihre Haut war fast grau, die Augen rot und geschwollen, dazu ihr Schmollmund und die zersausten Haare, die sich im Föhnwind bewegten. Sie hatte nur ein Handtuch um sich gebunden und ihr Schlüsselbein stach deutlich hervor. Ihre Arme hingen schlaff herunter und ihre Hände hatten überall kleine Blutergüsse. Dann sah sie hoch zu Alex, die sie ebenfalls beobachtete. „Ich habe doch gesagt, dass du schrecklich aussiehst, aber warte nur ab. Nachher wirst du wieder wie die alte Sophia aussehen.“, zwinkerte ihr Alex zu.
Niji
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28.10.2012 21:13
Zitat:
„Ich hab total Schmacht!“, sprudelt es aus Alex heraus und so machen sich die Freundinnen auf in Richtung See, um in Ruhe rauchen zu können. Sophia hat bisher erst einmal an einer Zigarette geraucht und nichts und niemand bringt sie erneut dazu, sagt sie und hält es auch durch.


und dann das:
Zitat:

Dann zückt er eine Zigarettenschachtel aus seiner Jeans und steckt sich einen Glimmstängel an. Während Sophia nicht weiß, was sie tun oder sagen soll, durchbricht der Cola- Typ von sich aus die Stille. „Willst du auch eine?“ Sein Blick ist zwar noch immer kühl, aber nicht mehr so streng wie zuvor. Sophia hat noch nie geraucht und wollte es auch nie probieren. Sie ringt mit sich, doch sie nickt zaghaft. „Dann komm herunter.“, sagt er wieder kühl und winkt sie heran. Vorsichtig steigt Sophia das Gerüst herunter und tut es ihm gleich, indem sie die Schaukel leicht trocken wischt und sich dann setzt. Ohne ein Wort reicht er ihr eine Zigarette, sie steckt sie in den Mund und bekommt von dem Jungen ein Feuerzeug gereicht.
Elisa
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28.10.2012 21:13
Kapitel 8 // Teil 1

„Wieso warst du eigentlich damals nicht bei mir mit Alex?“, fragt Sophia in die Stille. Melli sieht erstaunt zu ihr herüber. „Weißt du das nicht mehr? Ich war doch mit meinen Eltern über die Feiertage weggefahren.“ Sophia beißt sich auf die Unterlippe. „Ach stimmt ja, tschuldigung.“, stammelt sie. „Schon okay, aber wie kommst du jetzt darauf?“, fragt Melli. „Habe ich mich grad gefragt, sorry.“, lacht Sophia. Dann dreht sich Melli wieder von ihr weg, um weiter die Sonne zu genießen. Sophia hingegen möchte nicht mehr liegen und richtet sich auf. „Ich würde gerne zum See gehen, aber allein. Geht das in Ordnung für dich?“ – „Jetzt verlassen sie mich ja alle!“, lacht Melli empört. „Nein quatsch, geh ruhig. Ist kein Problem, Süße.“, sagt sie schließlich und winkt ab. „Gut, dann bis später und wenn du Alex siehst, sage ihr, dass sie wieder normal sein soll.“ – „Mache ich.“, sagt Melli und schließt die Augen.
Sophia bindet sich ihr Handtuch um die Hüften und gleitet in ihre Flip Flops. Dann macht sie sich auf den Weg zum See. Dabei geht sie am Spielplatz vorbei, doch da ist niemand zu sehen. Es versetzt ihr einen kleinen Stich, denn sie hat Ben heute den ganzen Tag noch nicht gesehen. Gleichzeitig versucht sie aber den Gedanken wieder beiseite zu schieben. Sie mag sich ihre Enttäuschung über den Anblick des leeren Spielplatzes nicht eingestehen.

An der Badestelle des Sees ist viel los. Zu viel für Sophias Geschmack und so macht sie einen kleinen Spaziergang durch den Wald, der rings um den See führt, um auf die andere Seite zu gelangen. Der See ist nicht sehr groß, aber groß genug, dass man sich dort an der ruhigen Stelle unbeobachtet fühlt. Mit den Flip Flops ist es gar nicht so einfach durch den Wald zu gehen, weil immer wieder kleinere Steine und Hölzer zwischen ihren Füßen und Schuhwerk landen. Alle paar Meter muss sie anhalten und ihre Füße von den piekenden Dingen befreien.
An einer kleinen Ausbuchtung des Sees bleibt Sophia stehen. Hier fühlt sie sich ungestört. Ein kleiner Steg ist angebracht, aber dieser scheint schon einige Jahre nicht mehr benutzt worden zu sein, da das Schilf durch die Bretter wächst. Sie breitet ihr Handtuch auf einem Wiesenstück aus und setzt sich darauf. Ihre Brille kann sie absetzen, da die Sonne hier nicht scheint. Die Bäume verdecken sie. Es ist kühler hier dadurch, aber Sophia genießt es. Von weitem hört sie einige Jugendliche schreien und lachen. Sehen kann sie sie nicht und das findet sie genau richtig. Das Wasser glitzert von den Sonnenstrahlen und ein leichter Wind weht zu ihr herauf. Ihre Haare hat sie zu einem lockeren Zopf gebunden, sodass einzelne Strähnen ihr ins Gesicht fliegen. Sie schließt die Augen und lauscht dem Wind, der durch die Bäume fegt und ein wohliges Rascheln ertönt.

„Na? Du auch hier?“, erklingt Alex’ Stimme etwas abseits hinter Sophia. Sie dreht sich schlagartig um und sieht zu ihrer Freundin auf, die nun schon etwas näher bei ihr ist. Dann setzt Alex sich neben sie. Wortlos.
Beide blicken auf den See, der noch immer durch die Sonne glitzert und kleine Wellen vom Wind schlägt.
„Die Sache von vorhin tut mir echt leid“, beginnt Alex. „Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Verletzen wollte ich dich zumindest nicht!“ Sophia blickt ihre Freundin an, die den Blick nicht vom Wasser wendet. „Ist schon okay“, sagt sie schließlich und erhält als Reaktion ein bedachtes Nicken von Alex. Wieder herrscht eine Stille zwischen den Freundinnen, doch Sophia findet es nicht unangenehm.
„Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, hierher zu gehen?“, fragt Sophia. „Ich denke mal aus dem gleichen Grund wie du.“, entgegnet Alex. „Und der soll sein?“ - „Intuition.“, bemerkt Alex. Beide Freundinnen grinsen sich an, denn irgendwie hat Alex Recht. Es gibt keinen bestimmten Grund hier zu sein, außer dass beide die Ruhe suchten.
„Ich weiß, dass du eine schwere Zeit durch machst“, beginnt Alex, „doch ich als Freundin möchte natürlich auch, dass du dich mir öffnest und mich an deinem Schmerz teilhaben lässt.“ Sophia überlegt sich ihre Antwort genau. „Ich finde, die Sache in meinem Zimmer hatte meinen Schmerz deutlich gezeigt.“ So spitz wie es nun aus ihrem Mund klingt, ist es nicht gemeint, doch bei Alex muss man sich keine Sorgen machen, sodass Sophia unbeirrt fortfahren kann. „Es ist ja nicht so, dass ich euch nichts erzählen mag, doch wenn ich mich selbst nicht damit auseinander setzen kann oder will?! Wie soll ich euch dann von meinen Gedanken und Gefühlen berichten?“ Ein zustimmendes Nicken kommt von Alex. Sie scheint ernsthaft nachzudenken. Die Sonne ist ein wenig gewandert und so wird Alex’ rechte Gesichtshälfte angestrahlt. Sophia erkennt deutlich ihre eigentlich doch sehr feinen Züge. Ihr nachdenkliches Gesicht macht sie älter als sie in Wirklichkeit ist und trotzdem wirkt sie voller Tatendrang und Lebenslust. Sophia bezeichnet ihre Freundin gerne als Schwamm, der alles in sich aufsaugen möchte und es so gut es geht fest umschließt.
„Damit solltest du aber nun langsam mal anfangen. Du musst dich mit dir auseinander setzen und vor allem: Hör auf, dich dafür verantwortlich zu fühlen!“, platzt es plötzlich aus Alex heraus. „Ich fühle mich schon lange nicht mehr schuldig, Alex.“, widerspricht ihr Sophia. „Hör mir richtig zu! Du sollst dich nicht verantwortlich fühlen!“ Dabei betont sie den letzen Satz sehr stark und spricht jedes Wort einzeln aus. Einen Stich spürt Sophia in der Brustgegend. Zwar ist sie sich bewusst, was Alex ihr damit sagen will, doch eingestehen kann sie sich es nicht. „Ich rede Klartext. Du bist nicht für Markus verantwortlich! Ihr ward kein Paar mehr und selbst wenn ihr es gewesen wärt.“, Alex macht eine kleine Pause. „Fakt ist aber, dass ihr kein Paar mehr ward und du bist ihm gar nichts, aber auch rein gar nichts schuldig! Versteh das doch endlich.“ Ihr letzter Satz klingt traurig und gar nicht mehr aufbrausend. „Ich will dir nicht unterstellen, dass du noch zu sehr an ihm hängst.“ Wieder macht Alex eine Pause, diesmal grübelt sie kurz. „Obwohl, doch. Ich unterstelle es dir!“ Sophia ist unfähig etwas zu sagen und lässt Alex freie Wortwahl.
„Auch wenn es hart klingt, aber Markus ist tot. Und du lebst! Werde dir dessen endlich bewusst. Dein Leben geht weiter.“ In Sophias Nase fängt es an zu schmerzen als ihr die Tränen in die Augen steigen. Sie blickt weiter auf den See. „Naja, du kannst dir natürlich auch die Kugel geben.“, sinniert Alex. Dieser Sarkasmus bringt Sophia zum Schmunzeln. Sie sieht zu ihrer Freundin, die noch immer den nachdenklichen Gesichtsausdruck hat. Dann wendet auch Alex ihren Blick zu Sophia. „Was? Ich zähle dir nur die Möglichkeiten auf! Und das ist eine!“ Sophia schnaubt und dann stößt sie ein zartes Lachen aus. Alex stimmt in ihre Kicherei ein. „Du bist echt verrückt.“, kichert Sophia. Dann nimmt sie ihre Hand und drückt sie einmal sanft bevor sie sie wieder loslässt. „Immer wieder gerne.“, antwortet ihre Freundin und macht eine Andeutung einer Verbeugung.
So sitzen beide erneut eine Weile stillschweigend nebeneinander und genießen die Aussicht.

„Ich kann dir noch einen Rat geben“, beginnt Alex auf dem Rückweg. „Als meine Eltern sich trennten, schenkte Melli mir ein leeres Buch, in das ich all meine Gedanken hinein schreiben konnte. War wie eine Art Tagebuch. Am Anfang fand ich es albern, aber im Nachhinein war es wirklich gut. Ab und zu lese ich auch noch darin. Vielleicht würde dir das ja auch helfen?!“ Sophia kann es sich kaum vorstellen, dass Alex so etwas tun würde. Vor allem, weil sie nichts davon wusste. „Ich werde es mir mal überlegen.“, entgegnet sie mit zarter Stimme.

Als sie auf dem Hof des Camps stehen scheint die Sonne noch stärker zu scheinen und Alex beginnt mit ihren üblichen Flüchen während sie ins Haus geht. Sophia genießt die Sonne und versucht abzuschalten. Ihre vielen Gedanken müssen sich erst wieder ordnen. Dann bleibt sie abrupt stehen. Ben unterhält sich gerade mit Kristina. Sie beobachtet die beiden ein paar Sekunden und sie spürt wie sehr sie sich nach einem lieben Blick von ihm sehnt. Abermals stockt ihr der Atem als ihr bewusst wird, wie sie gekleidet ist. Schnell bindet sie sich das Handtuch um den kompletten Körper und nicht nur um die Hüfte. Durch diesen Aufwand blickt Ben zu ihr herüber und Sophia bleibt unvermittelt stehen. Sie versucht, einen coolen Ausdruck auf ihr Gesicht zu zaubern, doch sie glaubt, dass sie kläglich gescheitert ist.
Als Sophia kurz davor ist, vor Scham im Erdboden zu versinken, kommt Ben mit festen Schritten auf sie zu. Er hat ein unwiderstehliches Lächeln auf seinen Lippen, das Sophia so noch nie zuvor gesehen hat. „Ärger mit dem Handtuch? Soll ich schlichten?“, fragt er schelmisch und Sophia kann sich nicht erinnern, dass er eine so warme und freundliche Stimme in den vorigen Gesprächen hatte. Sie stößt ein hilfloses Lachen aus und blickt zu ihm auf. Das Schamgefühl will nicht weichen. Ben scheint darüber sehr belustigt zu sein und verschränkt demonstrativ seine Arme. Dann holt Sophia einmal tief Luft und wirft sich das Handtuch einfach über die Schulter. „Ich glaube, so geht’s.“, antwortet sie. „Du warst baden?“ – „Eher sonnenbaden. Mit den ganzen Chaoten mag ich nicht schwimmen.“ Sophia lässt ihren Blick zu den Besagten schweifen. Ben folgt ihrem Blick und stößt ein belustigtes Lachen aus. Sophia sieht zu ihm auf. „Du bist heute so gut drauf.“, bemerkt sie. Bens Miene wird ernster. „Stört dich das?“ – „Was? Nein! Ich… ich finde das toll!“, stammelt sie. Hätte sie das doch bloß nicht erwähnt, denkt sie sich und haut in Gedanken ihren Kopf gegen eine Wand. „Musst du heute noch viel arbeiten?“, versucht Sophia wieder das Gespräch aufzunehmen. „Es geht. Kleinigkeiten.“ Ben ist wieder ernst und anscheinend an keiner weiteren Unterhaltung interessiert. Sophia nickt resigniert und macht ein paar Schritte Richtung Türeingang. In ihrer Bewegung berührt er sie sanft am Arm, ohne sie festhalten zu wollen. Es versetzt Sophia einen Stich in der Magengegend und obwohl er sie nur kurz und sanft berührt, spürt sie die Berührung noch immer. Selbst als er sie schon wieder loslässt. „Entschuldige bitte. Das war nicht so gemeint. Ich bin nicht so gut in Konversation.“ – „Konversation. Soso.“, witzelt Sophia. Bens Miene bessert sich nicht und so sucht sie schnell nach etwas, das ihre Worte nicht so spottend wirken lässt. „Ich meine nur… wer sagt das heute schon?“, ein verunsichertes Lächeln bringt sie ihm entgegen. Dann muss auch Ben schmunzeln und schüttelt dabei leicht den Kopf. „Wie du siehst, sage ich das aber. Und du kannst etwas damit anfangen. Also passt es doch, oder?“, antwortet er schließlich. „Du hast Recht“, stimmt Sophia zu und fühlt sich sofort besser. Beide stehen wortlos voreinander. Ben scharrt leicht mit seinem Schuh im Kiesbett, ohne nervös dabei zu wirken. Alles was er tut wirkt vollkommen cool und kontrolliert. „Und was hast du sonst so den Tag bisher gemacht?“, fragt Sophia ein wenig ratlos, worüber sie mit ihm reden soll. „Ich habe gearbeitet- im Gegensatz zu dir.“, entgegnet Ben schnippisch und hebt dabei einen Mundwinkel. Sein Grinsen ist frech, doch Sophia findet genau dieses Lächeln unwiderstehlich. „Hey! Ich hatte auch einen anstrengenden Tag!“, protestiert sie ironisch. Ben lacht schelmisch und gibt ihr zu verstehen, dass er mehr Informationen haben möchte. „Also der Weg am See entlang ist mit Flip Flops wirklich schwierig! Ständig diese Steinchen und Äste unter den Füßen.“ Er sieht auf Sophia herunter während seine Augenbrauen nach oben schnellen. Sein Mund spitzt sich zusammen und er muss sich deutlich das Lachen verkneifen. Seine Augen fixieren ihre und Sophia überkommt wieder dieses wohlige Gefühl im Innern. Dann wendet er seinen Blick von ihr und sagt „Na da hattest du ja wirklich schwer zu schuften.“, witzelt er und blickt erneut kurz zu ihr. Diesmal aber mit einem Seitenblick und diesem schelmischen Lächeln. Macht er das mit Absicht?, fragt sie sich. Sophia versucht seinem Blick standzuhalten, doch umso länger sie ihn ansieht, desto mehr hat sie das Gefühl, ihn völlig anzuschmachten. Daher weicht sie seinem Blick aus. Wenigstens für ein paar Sekunden, um wieder zur Besinnung zu kommen. Ben bemerkt dies und scheint sie nun noch intensiver zu betrachten. Dass beide sich seit einigen Sekunden nur ansehen, scheint niemand wirklich zu bemerken. Sophia löst sich erneut von seinem Blick. „Ich sollte mich jetzt aber auch mal umziehen gehen. Die anderen warten sicher schon auf mich.“, bemerkt sie. Bens Blick wird wieder klarer. „Gut, ich habe ja auch noch was zu tun. Wir sehen uns bestimmt heute Abend.“ – „Heute Abend?“ Sophias Herz macht einen Sprung. „Ja, heute Abend wird gegrillt und da soll ich der Grillmeister sein.“ Sein Gesicht verrät seine Belustigung über diese Tatsache, aber auch gleichzeitig die Skepsis über die ihm aufgetragene Aufgabe. „Oh cool! Ich grille gerne. Dann freue ich mich auf heute Abend.“, antwortet Sophia etwas hektisch als sie Alex im Türrahmen stehen sieht, die ebenso schelmisch grinsen kann wie Ben. Nur nicht so verführerisch, denkt sich Sophia. Ben folgt abermals ihrem Blick und entdeckt Alex. Dann dreht er ihr wieder den Rücken zu und sieht Sophia an. „Ah, ich verstehe. Dann bis später.“, zwinkert er ihr zu und geht. Sophia bleibt noch ein paar Sekunden stehen. Erneut sieht sie zu ihrer Freundin, die fest verankert im Türrahmen steht. Als sie Ben nicht mehr sieht, ruft sie Alex entgegen. „Hör auf so selbstgefällig zu grinsen!“ Dabei streckt sie ihrer Freundin die Zunge raus und geht auf sie zu. „Braves Mädchen, sage ich nur.“, entgegnet Alex und legt einen Arm um ihre Schulter. Gemeinsam gehen sie zu ihrem Zimmer. Das Grinsen will nicht aus den Gesichtern der Mädchen weichen.

„Ach schön, dass ihr euch wieder zusammen gerauft habt!“, sagt Melli als ihre Freundinnen gemeinsam und mit einem Lächeln auf den Lippen ins Zimmer eintreten.
Sophia legt ihr Handtuch sorgfältig zusammen und auf ihr Bett. Dann hält sie inne. „Ich gehe mal duschen.“, sagt sie und holt sich aus dem Schrank einen weißen Jeansrock und ein türkises Top heraus. Alex grinst nun fast schon wieder provokant. Darauf geht sie aber nicht ein sondern sucht ihre Sachen zusammen und verschwindet dann in der Gruppendusche.

Die Fliesen sind alt und schlecht verarbeitet. Es gibt separate Duschvorhänge, die allerdings an den unteren Rändern schimmeln, vermutet Sophia. Sie legt ihre Sachen in ein Schließfach, zieht sich aus und geht mit ihrem Handtuch und Duschbad schnell in eine der angedeuteten Duschkabinen. Das kühle Wasser prasselt auf ihre von der Sonne aufgeheizte Haut. Währenddessen durchlebt sie noch einmal das letzte Gespräch mit Ben. Sie denkt an sein Lächeln und an seine zerrissenen Jeans, die wohl ein Markenzeichen von ihm zu sein scheinen. Seine dunklen Haare, die er leicht nach hinten gegelt hat und doch in alle Richtungen ragen. Und diese Augen. Seine Augen haben es ihr besonders angetan. Er hat einen total durchdringenden Blick, denkt sie während sie ihre Haare einseift.

Mittlerweile sind auch die anderen Mädchen im Zimmer versammelt. Sie tauschen sich über ihre Aktivitäten des Tages aus, lachen und gackern fröhlich vor sich hin. Sophia hängt ihr Handtuch zum Trocknen über die Heizung am Fenster. Ihre Haare sind noch nicht ganz trocken und so leiht sie sich von Alex einen Fön.
Als Sophia sich dann auch noch schminkt, kann es Alex nicht lassen. „Für wen machst du dich denn so hübsch, Prinzessin?“, frotzelt sie. Ohne den Blick von ihrem Spiegelbild zu wenden, ignoriert Sophia ihre Äußerung. Die Zimmergenossinnen ignorieren Alex’ Aussage aber nicht so leicht und haken nach. Sophia wirft Alex einen bösen Blick zu. „Ich mache mich für niemanden besonders hübsch außer für mich!“, sagt sie und hofft darauf, dass die anderen es dabei belassen. Im Augenwinkel sieht Sophia, dass Melli Alex leicht in die Seite stößt.

Als die Freundinnen wenig später das Gebäude verlassen, ist der eigentliche Fußballplatz kaum noch zu erkennen, denn überall auf dem Feld stehen Tische und Bänke und etwas abseits ein großer Grill, an dem sie deutlich Ben erkennt. Er ist also tatsächlich da, denkt sie sich. „Wo wollen wir denn sitzen?“, fragt Melli. Sophia wendet den Blick nicht von Ben, der fleißig das Fleisch auf den Grill wirft, wobei Beigeisterung anders aussieht. Alex geht vor und sucht einen Platz ganz in der Nähe vom Grill aus. Sophia sieht ihre Freundin mit hochgezogener Augenbraue an. „Was? Ich will nicht so weit laufen müssen für mein Essen!“, entgegnet Alex dreist. Dann müssen alle drei lachen. Melli setzt sich neben Sophia und Alex sitzt mit dem Rücken zum Grill. Sophia fällt es sichtlich schwer ihren Blick von Ben zu wenden. Er trägt mittlerweile ein schwarzes T- Shirt mit der Aufschrift „Motörhead“. Zwar kennt sie diese Band, doch wirklich mögen kann sie diese Musik nicht. Sie muss automatisch an den Freak aus ihrer Klasse denken, der diese Band im Musikunterricht vorstellte. Mit langen, blonden Haaren, die zu einem Zopf zusammen gebunden waren, Nietenarmbänder, Hohlkreuz und feuchter Aussprache. In dieses Bild passt Ben nun gar nicht rein, denkt sie sich und schüttelt schnell den Gedanken an ihren Klassenkameraden beiseite. „Was hast du denn?“, fragt Alex.
Elisa
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28.10.2012 21:14
Kapitel 8 // Teil 2

„Ich musste gerade an Philip denken.“ Ihre Freundinnen sehen sie schockiert an und lachen dann laut los. „Vermisst du ihn oder was?“, schreit Alex schon fast vor Lachen. „Pssst, sei doch mal leiser!“, ermahnt Sophia ihre Freundin. „Ben trägt so ein T- Shirt von der Band, die Philip mal vorstellte. Wisst ihr noch?“ Ohne Skrupel dreht sich Alex demonstrativ um und starrt auf Ben. Sophia dreht den Blick zu Melli und hofft, dass Ben Alex’ Blick nicht bemerkt. „Stimmt, er hat auch so ein T- Shirt, aber wenigstens sieht er nicht so aus wie Philip!“, prustet Alex über den Tisch. „Wir sind gar nicht oberflächlich heute.“, bemerkt Melli, die zwar auch grinsen muss, aber doch noch die Besonnenere von allen ist. Sophias Lachen ist noch nicht ganz verschwunden als sie zu Ben herüber sieht. Er scheint sie gar nicht zu bemerken und egal wie lange sie zu ihm sieht, er erwidert ihren Blick einfach nicht. „Also wenn ihr nichts wollt, ich gehe mir was zu essen holen!“, sagt Alex als sie aufsteht. Sophia ist gerade gar nicht nach Essen zumute und so bleibt sie mit Melli sitzen, die gegrillte Dinge sowieso nicht mag. „Alex hat mir von eurem Gespräch erzählt.“, beginnt Melli. „Ja, ist gut gelaufen denke ich.“, lächelt Sophia ihrer Freundin entgegen. „Das ist toll! Vielleicht solltest du ihren Rat annehmen und wirklich mal deine Gedanken zu Papier bringen.“ – „Ich weiß nicht. Ich bin viel zu schreibfaul. Und gerade geht es mir auch gut.“, sagt Sophia ohne zu bemerken wie sie Ben anstarrt. „Das liegt aber anscheinend nur an ihm.“ Melli deutet zu Ben. „Na und? Wenn ich in seiner Nähe bin, kann ich aber abschalten. Und das tut mir gut!“ – „Das will ich dir ja auch nicht ausreden, aber in meinen Augen ist das pure Verdrängung und dieser Urlaub ist auch irgendwann vorbei.“ Sophia wird wütend über die Worte ihrer Freundin. „Lass mir doch das bisschen Freude!“, pflaumt Sophia sie an. Melli streckt ihre Hände in die Höhe, um eine Form von Ergebung zu bedeuten.
Plötzlich schlägt Sophias Herz schmerzend gegen ihre Brust. Alex steht direkt vor Ben und die beiden unterhalten sich, er zieht sogar einen Mundwinkel nach oben. „Melli, was tut Alex da?“, fragt sie mit zittriger Stimme. „Och nöö.“, bringt Melli nur heraus. Beide Mädchen starren gebannt zu den beiden, die von ihnen aber keine Notiz nehmen. Dann endlich kommt Alex wieder an den Tisch und macht sich über ihr Steak her. Sophia rutscht auf der Bank leicht hin und her und starrt Alex an, die ihre Freundinnen noch immer ignoriert. „Ehm, Alex?“, fragt Melli vorsichtig an. Diese hebt ihren Kopf und kaut zufrieden auf ihrem Stück Fleisch herum. Ein breites Grinsen ist auf ihrem Gesicht. Als sie herunter geschluckt hat, sagt sie. „Ja okay, ich will ja nicht gemein sein. So Püppi, du triffst dich nachher mit Ben am See.“ Sie sagt es mit so einer Gelassenheit, dass Sophia und Melli gleichzeitig die Unterkiefer herunter fallen. „Hey, benehmt euch mal! Er kann euch von hier aus sehr gut sehen!“, lacht Alex laut. „Wieso hast du das gemacht?“, fragt Sophia schockiert. „Ich habe gar nichts gemacht. Er hat mich angesprochen.“ Ein weiteres Stückchen Fleisch wandert in Alex’ Mund, das andachtsvoll gekaut wird. Sophia sieht Melli an. Sie weiß nicht, ob sie sich freuen soll oder nicht. „Ach komm, jetzt mach kein Drama draus sondern freue dich. Herrje, sei nicht so kompliziert, junge Dame!“, sagt Alex mit vollem Mund. „Und was heißt nachher?“, fragt Melli neugierig. „Wenn alle soweit satt sind, damit er dann gehen kann. Und wenn sie ihn nicht mehr sieht, dann geht sie hinterher.“ Sophia blickt zu Ben und endlich sieht dieser auch zu ihr. Er nickt wie üblich ihr zu und sie tut es ihm gleich. Dann kann sie ihre Freude und Aufregung kaum noch verbergen, denn dieses Grinsen will nicht mehr von ihr ablassen. Innerlich herrscht ein Feuerwerk. Nach außen hin versucht sie cool und gelassen zu wirken. Bloß nicht auffallen, denkt sie sich.
Im weiteren Verlauf des Abends sind alle drei recht entspannt. Lachen hier mal über den und machen Witze über den anderen. Nie lässt Sophia allerdings Ben lange aus den Augen. Sie wartet nur darauf bis er endlich vom Grill weggehen darf. Tausend Dinge gehen ihr durch den Kopf. Sie ist froh, noch mal extra unter der Dusche gewesen zu sein, erneut ihre Zähne geputzt und die Haare frisiert zu haben.
Und dann ist er plötzlich verschwunden. Ihr Herz hämmert regelrecht und ihr wird ganz heiß. „Alex? Melli?“, beginnt Sophia, doch ihre Stimme versagt und sie muss über sich lachen. Dann holt sie erneut tief Luft. „Er ist nicht mehr da.“ Alex dreht sich schlagartig um und auch Melli sieht zur Grillstelle. „Stimmt, er ist weg.“, triumphiert Alex. „Warte noch einen Moment und erst dann gehst du los.“, rät ihr Melli. Sophia nickt aufgeregt, schließt die Augen und versucht sich auf ihren Atem zu konzentrieren. „Ich komme mir total doof vor.“, sagt sie schließlich. „Bei so einem Leckerbissen wäre ich auch aufgeregt.“, beruhigt Alex sie und zwinkert ihr zu.

Auf dem Weg zum See muss sie wieder ein kleines Stück durch den Wald gehen. Abermals verflucht sie sich, da sie erneut die Flip Flops trägt, aber wer konnte das schon ahnen, wohin es sie heute Abend noch verschlägt. Die Sonne ist bereits hinter den Bäumen verschwunden und Sophia ist froh, wenigstens ein kleines Jäckchen angezogen zu haben.
Nach wenigen Metern erblickt sie bereits den See und die Abendsonne scheint noch ein wenig auf das ruhige Wasser. Dann erkennt sie auch Ben, der zu ihr gerichtet steht. Sein Gesicht kann sie nicht erkennen, doch sie hofft so sehr auf ein Lächeln von ihm.
„Guten Abend, schöne Dame.“, sagt er sanft mit seiner warmen Stimme, sodass Sophia ganz anders wird. „Guten Abend.“, bringt sie nur hervor. Ben muss lachen. „Das hättest du nun nicht erwartet, richtig?“ – „Richtig.“, antwortet Sophia und lächelt schüchtern. „Ich fand, dass es zu der kitschigen Situation gut passt. Wegen dem Sonnenuntergang und so weiter. Du verstehst?“, sagt Ben noch immer belustigt. „Ja, ich verstehe.“ Sophia weiß nicht genau, was sie davon nun halten soll. Der Zauber scheint für einen Moment wie verflogen zu sein. Sie fragt sich, ob er das nur so gesagt habe und es gar nicht ernst meint.
„So und warum hast du mich nun hierher bestellt?“, fragt Sophia schließlich. „Ich? Du wolltest dich doch mit mir hier treffen!“, antwortet Ben erstaunt, wenngleich belustigt. „Oh mann, ich hätte es wissen müssen! Alex!“ Erneute Wut über Alex steigt in ihr auf. Bens Lachen allerdings lässt es schnell vergessen. Er geht ein Stück näher an den See heran. „Tolle Freundin hast du da.“, bemerkt er während er auf den See blickt. Sophia macht ein paar Schritte auf ihn zu. „Tut mir echt leid. Ich wusste nichts davon. Ehrlich!“, sagt sie und wartet auf seine Reaktion. „Ist doch nicht schlimm. Ich wollte ja her kommen.“ Ihr Herz macht wieder einen Sprung und sie lächelt still in sich hinein. „Das ist mir trotzdem unangenehm.“, entgegnet Sophia. Ben dreht sich zu ihr und blickt sie an. „Dann lass uns aus dieser unangenehmen Situation das Beste machen.“ Er schenkt ihr wieder eines seiner unwiderstehlichen Lächeln und da die Sonne ihn noch leicht bescheint, glaubt Sophia in einem Märchen zu sein. Sie nickt schüchtern und gemeinsam gehen sie zu der Seite, an der tagsüber die Jugendlichen baden. Auch hier ist ein Steg vorhanden, der allerdings gut gepflegt ist. Ben geht vor und streckt Sophia dann seine Hand entgegen, damit sie ihm folgt. Sie lächelt kurz und greift nach seiner Hand. Sie ist angenehm warm, wenn auch etwas rau. Als sie ebenfalls auf dem Steg steht lässt Ben sofort ihre Hand los, ohne unhöflich dabei zu wirken. Er drückt mit seiner Hand sanft gegen ihren Rücken, damit beide gemeinsam den Steg entlang gehen. Dann lässt er wieder von ihr ab.
Am Ende des Steges bleiben sie einen Moment lang stehen und sehen hinaus auf den See. Die Sonne ist nun fast komplett verschwunden und man hört die Grillen zirpen. Das Wasser ist ganz ruhig. Der starke Wind vom Nachmittag hat sich ebenfalls schlafen gelegt.
„Bist du gerne in der Natur?“, durchbricht Sophia zaghaft das Schweigen. „Sehr sogar. Ist ein angenehmer Kontrast zum sonstigen Treiben unserer Zivilisation.“, antwortet er genauso zaghaft und ruhig. Sophia findet seine Art zu reden wundervoll. Im ersten Augenblick scheint es nicht zu ihm zu passen. Und doch stimmt alles an ihm, denkt sie still vor sich hin.
„Lebst du schon immer in Hofen?“, fragt Sophia vorsichtig nach. „Ja, schon immer.“ – „Und hast du Geschwister?“ – „Nein, keine. Bin Einzelkind und lebe mit meiner Mutter zusammen.“ Sophia möchte ihm nicht das Gefühl geben, ihn auszuquetschen, aber er selbst stellt keine Fragen. Ben geht in die Hocke und setzt sich dann auf den Steg. Er sieht zu Sophia hoch und klopft zweimal mit der Hand vor ihre Füße. „Setz dich.“, sagt er freundlich. Als auch sie sitzt, fängt Ben von allein an von sich zu erzählen. „Meinen Vater kenne ich nicht. Er verließ meine Mutter noch als sie schwanger mit mir war. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wo er sich aufhält oder ob er noch lebt. Stört mich aber auch nicht weiter.“ – „Das tut mir leid.“, unterbricht ihn Sophia. Er blickt auf seine Schuhe, die knapp die Wasseroberfläche berühren. „Ich denke mal, du bist so das typische Einzelkind. Wohlbehütet bei Mama und Papa aufgewachsen. Der kleine Engel ohne Kummer und Sorgen.“ Sophias Augen weiten sich. Sie kann nicht glauben, was sie da gerade gehört hat. Und dann noch von Ben! Unfähig etwas zu sagen richtet sie sich auf und will gehen und fällt beinahe als Ben ihren Knöchel mit seiner Hand fest umschließt. „So war das nicht gemeint! Entschuldige bitte. Das kam so über mich!“ – „Vielleicht wäre es erst einmal nett von dir, wenn du mich loslassen würdest.“, raunt Sophia ihm entgegen. Er lässt sie los und springt dann schnell auf. Sophia bleibt stehen, hat aber den Blick von ihm abgewandt. „Es war nicht so gemeint.“, wiederholt er. „Was soll das denn? Ich habe dir nichts getan und du kennst mich nicht!“, schreit Sophia ihn fast an. Dabei sieht sie ihm fest in die Augen, doch jetzt überkommt sie kein Glücksgefühl. Sie ist wütend. Wütend über seine Naivität. Wütend über sein unverschämt gutes Aussehen und wütend darüber, weil sie ihm nicht lange böse sein kann.
„Manchmal hab ich das, dass ich zu schnell urteile. Das tut mir wirklich leid. Ich hab nicht darüber nachgedacht.“, betont er abermals. „Ja ist schon gut. Vergessen wir das.“ Er kommt einen weiteren Schritt auf sie zu, beugt sich zu ihr herunter und bleibt knapp 15 Zentimeter vor ihrem Gesicht stehen. „Ich wollte dich nicht beleidigen, Sophia.“ – „Ich habe gesagt, dass es schon gut ist!“ Ihre Worte klingen schroff und sie geht ein paar Schritte rückwärts. Dabei vergisst sie, dass der Steg nur etwa zwei Meter breit ist, tritt neben den Steg und fällt ins kalte Wasser. „Sophia!“, hört sie Ben noch rufen ehe sie abtaucht. Als sie wieder auftaucht, schnappt sie nach Luft und weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll. Ben ist sichtlich erleichtert, dass es Sophia gut geht und kann sich das Lachen dann nicht verkneifen. „Hör auf zu lachen!“, sagt Sophia streng, aber muss ebenfalls lachen. So versucht sie die Peinlichkeit besser durchzustehen. „Warte, ich helfe dir wieder hoch.“, sagt Ben als er sich ein wenig beruhigt hat. Er geht auf die Knie und beugt sich zu ihr herunter. Sophia greift nach seiner Hand und als er ihr gerade hoch helfen will, zieht sie kräftig an seinem Arm und Ben landet ebenfalls im Wasser. Schnell ist er wieder an der Wasseroberfläche und sieht Sophia schockiert an. Diese bekommt Bauchschmerzen vom Lachen. „Das Wasser ist ja eisig!“, stößt Ben aus. „Was meinst du, warum ich dich so doof angesehen habe?!“, lacht Sophia laut. „Dann müssen wir jetzt wohl doch ans Ufer schwimmen.“, bemerkt Ben und schwimmt einmal um Sophia herum. „Wie peinlich das wird, wenn ich im Camp antanze!“, beschwert sie sich. „Dann tanze halt nicht.“, ärgert Ben sie und schwimmt ein kleines Stück von ihr fort. „Na warte!“, droht sie und schwimmt ihm mit schnellen Zügen hinterher. Als sie bei ihm angelangt ist, stützt sie sich auf seine Schultern und taucht ihn somit unter Wasser. Dann aber drückt er sich wieder hoch und Sophia fliegt etwa einen halben Meter nach hinten. „Hast wohl geglaubt, ich lass mich schnell besiegen, was?“, schnaubt Ben, der nach Luft ringt und lacht. Sophia stimmt in das Lachen ein und fühlt sich wie in einem Traum. „Wir sollten jetzt aber besser aus dem Wasser raus. Vielleicht trocknen meine Sachen ja noch etwas bevor ich zurück muss.“, schlägt Sophia vor. „Ach, um dich machst du dir Sorgen und was ist mit mir?“, spaßt Ben herum. „Jetzt tu nicht so. Du machst das schon!“, ruft Sophia ihm entgegen als sie sich auf den Weg zum Ufer macht. Ben hat sie schnell aufgeholt und beide schwimmen nebeneinander her. „Schwimmst du eigentlich gerne?“, fragt Ben. „Eigentlich schon, aber nicht so.“, lacht Sophia. Als sie endlich wieder Boden unter ihren Füßen spürt, richtet Sophia sich auf und wringt ihre Haare aus. Ebenso ihr Top nachdem sie ihr Jäckchen ausgezogen hat und es Ben für sie auswringt. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie ihre Flip Flops verloren hat. „Macht doch nichts. Ich mag diese Teile eh nicht.“, beruhigt Ben sie als Sophia es lauthals bemerkt. „Barfuß ist der Weg aber noch unangenehmer als mit den Dingern.“, jammert sie. Ben überlegt einen Moment. „Lass uns erstmal ganz aus dem Wasser gehen und dann sehen wir weiter.“, entgegnet er.
Sophias Sachen trocknen nicht wirklich. Da die Sonne schon längst verschwunden ist, wird es ohnehin Zeit, wieder zum Gelände zu gehen. „Kommst du noch mit?“, fragt Sophia. „Nein, ich muss nun auch nach Hause. Morgen bin ich wieder da.“ – „Gut, dann bis morgen?“ – „Sehr gerne, schöne Dame.“, antwortet Ben mit einem schiefen Grinsen. Sophia verdreht die Augen und schüttelt mit dem Kopf. Dann lachen beide. „Danke für das Kompliment, du… Motörhead- Fan!“ – „Ach du kennst die Band?“, fragt Ben und sieht auf sein T- Shirt, das den Sandboden um ihn herum durchnässt. „Ja, aber so was ist nicht meine Musik.“, sagt Sophia etwas skeptisch. „Kommt noch…“, verspricht Ben und lacht. Dann kommt er auf sie zu. „Du solltest dann jetzt gehen.“ – „Ja, auch wenn es weh tut.“ Ben sieht sie fragend an. „Also ich meinte…“, stammelt Sophia. „Ich meine wegen dem Boden hier.“ Die Röte steigt ihr ins Gesicht und sie ist froh, dass man gerade kaum noch etwas erkennen kann, sodass Ben es nicht bemerkt. Dieser lacht laut auf, schüttelt mit dem Kopf und sagt. „Frauen.“ Plötzlich legt er einen Arm um ihre Hüfte und den anderen in ihre Kniekehlen. Dann hebt er sie hoch. Sophias Herz scheint stehen zu bleiben und sie sieht ihn voller Bewunderung an. Ihr Gesicht ist ganz nah an seinem und es fällt ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Und wieder etwas, das du nicht erwartet hättest, richtig?“, gibt er belustigt von sich während er sie den Waldweg entlang zum Camp trägt. „Richtig.“, kichert sie.
Am Ende des Weges lässt er sie sanft herunter. Von hier aus kann man die beiden noch nicht sehen. „Danke.“, sagt Sophia. „Keine Ursache. Also wir sehen uns dann morgen?“ – „So war es abgemacht.“, stimmt sie mit einem Lächeln zu. „Dann sage ich mal gute Nacht, schlaf schön und bis morgen.“, gibt Ben mit seiner lieblichsten Stimmlage wider, dass es Sophia regelrecht umhaut. Sie ringt um Fassung, doch die Tatsache, dass sie nun wieder von ihm getrennt sein wird, macht sie traurig. „Danke, das wünsche ich dir auch.“, bringt sie nur hervor. Beide lächeln sich an und dann geht Ben davon. Bevor er ganz verschwunden ist, ruft Sophia ihm noch hinterher. „Ben!“ Er dreht sich um und ihr Herz hämmert erneut wie wild. “Ich freue mich auf dich.“, ruft sie ihm entgegen. Sie erkennt ein Nicken von ihm und dann verschwindet er ohne ein weiteres Wort in der Dunkelheit. Sophia bleibt noch eine Weile so stehen und kann dieses Grinsen nicht abstellen. Selbst die Tatsache, dass sie klitschnass ist, ihre Schuhe verloren hat und sie deswegen viele Fragen ihrer Freundinnen beantworten muss, stört sie nicht. In dem Moment ist sie sich sicher, dass Ben sie mag. Sehr mag. Er muss sie einfach mögen, denn wieso sollte er sonst so lieb sein? Bis auf die eine Sache von ihm, aber sonst ist er perfekt, denkt sie sich.
Auch wenn der letzte Rest des Weges viele kleine und spitze Steine hat, bemerkt Sophia diese kaum. Sie denkt einfach nur an das eben Erlebte und schwebt auf Wolke sieben.

Auf dem Fußballplatz ist noch einiges los, sodass Sophia sich an der Masse in der Dunkelheit vorbei schleicht und direkt in ihr Zimmer geht, um sich umzuziehen. Wie zu erwarten ist niemand im Raum. Sie hängt ihre nassen Sachen provisorisch auf und greift nach einer Jeans und einem langärmligen Oberteil in dunkelgrün. Dann fönt sie ihre Haare leicht an und bringt ihr Make- Up in Ordnung. Als das alles erledigt ist, geht sie wieder hinaus. Durch Alex’ lautes Organ macht sie ihre Freundinnen schnell ausfindig.
Sie steht wortlos, aber mit einem Grinsen auf dem Gesicht, vor ihnen. Melli und Alex bemerken sofort, dass sie umgezogen ist und ihre Haare viel wilder und auch nass sind. „Was hast du denn angestellt?“, lacht Alex so laut sie kann. „Ich bin ins Wasser gefallen und musste mich jetzt umziehen.“, sagt Sophia leiser als sie sich neben Alex auf die Bank setzt. „Und wo sind deine Schuhe?“, bemerkt Melli. Sophia schaut erstaunt an sich herunter. „Oh, die hab ich vergessen anzuziehen.“ Alle drei müssen lachen. „Du bist echt verrückt! Los erzähl, wie war’s, Prinzessin?“, fragt Alex gespannt. Melli beugt sich etwas über den Tisch, damit Sophia im Falle des Falles nicht zu laut reden muss. „Erstmal hast du uns ja total reingelegt, Alex!“, entgegnet Sophia mit gespielter Beleidigtheit. „Ja, egal! Es hat sich ja anscheinend gelohnt! Also so wie du grinst, Püppi…“, lenkt Alex von sich ab. Sophia lässt es ihr diesmal durchgehen und dann erzählt sie von dem Treffen, wobei sie die verletzende Aussage von Ben verschweigt.
Ihre Freundinnen kleben völlig gebannt an ihren Lippen. Alex durchbricht als Erste das Schweigen. „Mensch, das hätte ich dem ja gar nicht zugetraut! So eine romantische Ader und so was. Wie hieß er jetzt? Ben? Doofer Name, aber okay. Kann er ja nichts für.“, sinniert sie. „Wann seht ihr euch denn wieder?“ – „Theoretisch morgen. Hat er zumindest gesagt.“ – „Na das klingt doch echt toll!“, meldet sich Melli zu Wort „Das hört sich wie nach einem Romantikfilm an. Und ihr zwei spielt die Hauptrollen.“, träumt sie. „Na super, ich will aber nicht irgendeine Rolle sein.“, entgegnet Sophia wenig begeistert. „Naja, wer weiß? Matrix und so. Vielleicht sind wir alles nur Marionetten, ohne es zu wissen.“ Damit hat Alex den Vogel endgültig abgeschossen. „Oh Alex, fang nicht wieder damit an! Ich kann es nicht mehr hören!“, quengelt Sophia, die sich gleichzeitig den Bauch vor Lachen halten muss. Melli richtet sich auf und fällt fast über die Bank, wodurch die Mädchen abermals laut prusten müssen. „So Mädels, nun wird’s aber Zeit fürs Bett.“, ertönt Kristinas freundliche Stimme.

Noch mit Bauchschmerzen vor Lachen und mit ein paar Schmetterlingen schläft Sophia ein. Ihre letzten Gedanken für den Tag kreisen ausschließlich um Ben.

Elisa
20106 Beiträge
28.10.2012 21:15
Zitat von Niji:

Zitat:
„Ich hab total Schmacht!“, sprudelt es aus Alex heraus und so machen sich die Freundinnen auf in Richtung See, um in Ruhe rauchen zu können. Sophia hat bisher erst einmal an einer Zigarette geraucht und nichts und niemand bringt sie erneut dazu, sagt sie und hält es auch durch.


und dann das:
Zitat:

Dann zückt er eine Zigarettenschachtel aus seiner Jeans und steckt sich einen Glimmstängel an. Während Sophia nicht weiß, was sie tun oder sagen soll, durchbricht der Cola- Typ von sich aus die Stille. „Willst du auch eine?“ Sein Blick ist zwar noch immer kühl, aber nicht mehr so streng wie zuvor. Sophia hat noch nie geraucht und wollte es auch nie probieren. Sie ringt mit sich, doch sie nickt zaghaft. „Dann komm herunter.“, sagt er wieder kühl und winkt sie heran. Vorsichtig steigt Sophia das Gerüst herunter und tut es ihm gleich, indem sie die Schaukel leicht trocken wischt und sich dann setzt. Ohne ein Wort reicht er ihr eine Zigarette, sie steckt sie in den Mund und bekommt von dem Jungen ein Feuerzeug gereicht.



Ah super, danke ^^ Da wurde mir die eine Zigarette zum Verhängnis

Habs geändert
Niji
32890 Beiträge
28.10.2012 21:22
Zitat von Elisa:

Echt? Oha Das muss ich gleich mal nachgucken

P.S.: Davon hab ich noch so einiges ^^


schön,
aber ch glaub ich mach mich gleich unbeliebt
2009 hieß der typ noch Tim, nu heisst er Ben
Tim fand ich pssender
Elisa
20106 Beiträge
28.10.2012 21:24
Zitat von Niji:

Zitat von Elisa:

Echt? Oha Das muss ich gleich mal nachgucken

P.S.: Davon hab ich noch so einiges ^^


schön,
aber ch glaub ich mach mich gleich unbeliebt
2009 hieß der typ noch Tim, nu heisst er Ben
Tim fand ich pssender


Ach dann ist das noch der alte auszug, mist tut mir leid. ach quark, machst dich nicht unbeliebt ^^ tut mir leid für dich zwecks lesen
Niji
32890 Beiträge
28.10.2012 22:16
hehe muss dir doch nich leid tun
die betreuerin hiess im alten teil auch sabrina und nicht kristina das is mir aber erst jetz zum ende aufgefallen...
Elisa
20106 Beiträge
28.10.2012 22:39
Zitat von Niji:

hehe muss dir doch nich leid tun
die betreuerin hiess im alten teil auch sabrina und nicht kristina das is mir aber erst jetz zum ende aufgefallen...


Ja das hat sich durch ne Freundin von mir geändert gehabt ^^ liegt eben daran, dass es 2 Versionen davon gibt
Niji
32890 Beiträge
28.10.2012 22:43
dacht ich mir schon.
(verwirrt mich nur etwas, bei den augustmamis 2011 is eine kristina deren kinder sophie und ben heissen das is schon absurd )

aber das ändert ja nichts daran, dass die geschichte sich gut liest
Elisa
20106 Beiträge
29.10.2012 07:19
Oh na das ist ja was!

Danke dir
Elisa
20106 Beiträge
15.11.2012 00:42
Kapitel 9

Am nächsten Morgen beginnt Sophia damit leicht klammen Klamotten ordentlich aufzuhängen, um Schlimmeres zu verhindern. Danach geht es zum Frühstück in den Saal, in dem sie auch erfahren, dass es heute nach Stuttgart geht, um die Stadt ein wenig zu erkunden. „Na super, da wollte ich schon immer mal hin!“, gibt Alex von sich, wodurch die meisten Jugendlichen lachen müssen.

Während der Fahrt nach Stuttgart denkt Sophia unentwegt an Ben. Sie vermisst ihn und hätte ihn nur zu gerne jetzt bei sich. Auf einen Stadtbummel hat sie so gar keine Lust und noch weniger will sie sich ein Museum ansehen. Melli möchte unbedingt in die Stadtbücherei und Alex möchte vermutlich am liebsten einfach ein nettes Date haben.
In Stuttgart angekommen werden die Jugendlichen direkt zur Königgstraße, einer großen Shoppingmeile, geführt. Dort angekommen erklären die Betreuer die Regeln für den Tag. „Niemand geht allein irgendwohin. Ihr findet euch mindestens zu dritt zusammen und bleibt auch in der Stadt. Trennt euch nur im Notfall. Kein Alkohol, keine Zigaretten und keine Drogen!“ Kristinas Worte sind freundlich, aber bestimmend. Dann bekommt jeder einen kleinen Stadtplan, in dem die Sehenswürdigkeiten zu sehen sind. Kristina sieht auf ihre Uhr. „Wir haben es jetzt elf Uhr. Wir treffen uns um 15 Uhr wieder genau hier. Dann geht’s wieder zurück. Habt ihr das alle verstanden?“ Ein Raunen geht durch die Mengen und Kristina nickt zustimmend. Dann gehen die ersten Grüppchen los. „Dann lasst uns mal die Gegend unsicher machen.“, sagt Alex. Melli sieht unterdessen in den Stadtplan und hat Mühe, etwas darauf zu erkennen, da der Wind die Karte davon fliegen lassen will. Sophia eilt ihr zur Hilfe. „Ich möchte gerne in die Stadtbücherei. Hier gibt es auch überall Cafès. Da könnten wir es uns dann auch gemütlich machen.“, schlägt Melli vor. „Lieber möchte zu McDoof.“, antwortet Alex. „Schaut mal. Hier ist die Bücherei und dort ist Mc Donald’s. Also können wir diesen Weg hier nehmen und haben zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Klingt das gut?“, meint Sophia. Ihre Freundinnen stimmen zu und sie machen sich auf den Weg.

Die Stadtbücherei ist verhältnismäßig voll. Alex’ Gesicht wird länger und länger beim Anblick der vielen Bücher. Dann aber entdeckt sie eine Spielecke für Kinder, bei dem auch ein Fernseher läuft. Entschlossen geht sie darauf zu und stellt sich so hin, sodass es aussieht als ob sie nach Büchern Ausschau hält, doch in Wirklichkeit die Kindersendung verfolgt. Sophia schüttelt schmunzelnd den Kopf bei dem Anblick ihrer Freundin.
Melli ist ebenfalls verschwunden. Sie liebt anspruchsvolle Bücher wie Psychothriller und sitzt bereits in der dafür vorgesehenen Leseecke. Sophia macht sich auf den Weg zu ihr. „Du hast ja direkt zugegriffen.“, bemerkt sie. „Ja klar, die Bücher sollen der Wahnsinn sein und ich wollte sie etwas anlesen.“, antwortet ihre Freundin. „Mach ruhig, lass dir Zeit. Ich suche mir auch irgendwas. Oder ich gehe zu Alex in die Kinderabteilung.“, witzelt Sophia. Melli blickt zu ihr auf, hebt ihre Augenbrauen und sieht sie fragend an. „Ja, du hast richtig gehört. Sie ist in der Kinderabteilung.“, bestärkt Sophia ihre Aussage. „Och nöö, das hat sie schon einmal getan!“, entgegnet Melli mit verdrehten Augen.

„Wie lange sollen wir denn noch hier hocken?! Wir haben fast eins!“, jammert Alex. „Ja ich weiß, aber wir haben es Melli versprochen.“, bemerkt Sophia widerwillig, denn auch ihr ist langweilig. „Aber das ist jetzt echt lange genug!“ Alex geht mit festen Schritten zu Melli herüber und gestikuliert wild mit ihren Armen. Melli scheint noch völlig gedankenverloren und nickt nur. Nach ein paar Minuten kommt Alex wieder zu Sophia zurück. „Sie ist gleich fertig, sagt sie.“ Dabei verdreht sie abermals die Augen. „Aber wehe ihr meckert, weil ich zwei Stunden bei McDoof sitzen will!“ – „Ich warne dich, Alex.“, gibt Sophia bedrohlich von sich und beide brechen in lautes Gelächter aus.
Als Melli aus dem Gebäude geht, stehen Sophia und Alex bereits draußen und genießen die Sonne. „Da bist du ja endlich!“, stöhnt Alex. „Ich habe was für dich, Sophia.“, wendet sich Melli an sie und zückt aus einer Einkaufstasche ein bordeauxfarbenes Buch. „Noch ist das Buch leer, aber ab heute kannst du es füllen.“ Sie überreicht es Sophia, die ein wenig perplex auf das Geschenk starrt. „Oh, danke.“, bringt sie nur hervor. „Du wirst schon noch Gefallen am Schreiben finden, glaube mir.“, bestärkt Melli ihre Freundin.

Den Rest der Zeit verbringen die Mädchen bei Mc Donald’s und in verschiedenen Klamottenläden. Sophia kauft sich ein dunkellilanes Jäckchen. „Die passt gut zu deinem Teint.“, hatte Melli sie ermutigt.
Am Treffpunkt angekommen, sind bereits fast alle Jugendlichen anwesend. Die drei Mädchen setzen sich auf eine Bank, um ihre Füße ein wenig zu entspannen. „Niemals mehr bei so einem Wetter ziehe ich noch hohe Schuhe an!“, flucht Alex. „Ich hab’s dir ja gesagt…“, sagt Melli vorwurfsvoll. Während ihre beiden Freundinnen sich noch weiter unterhalten, denkt Sophia erneut an Ben. Sie fragt sich, was er gerade tut und ob er auch an sie denkt. Als sie daran denkt, dass sie bald wieder auf dem Camp ist, macht ihr Herz einen Sprung und sie spürt dieses Kribbeln im Bauch. Sie erinnert sich an den gestrigen Abend und wie sehr sie noch länger mit Ben zusammen geblieben wäre. Jetzt ärgert sie sich, dass sie sich an die dummen Regeln hält. Aufgeregt hofft sie darauf, mit Ben erneut eine Weile allein sein zu können, doch sie weiß jetzt schon, dass sie ihn von allein nie fragen wird. Dazu ist ihr das ganze viel zu peinlich und einen Korb möchte sie auch nicht erhalten.
Völlig in Gedanken verloren, bemerkt sie zunächst nicht einmal, dass ihre Freundinnen bereits auf dem Weg zum Bus sind. Erst als jemand ihren Namen ruft, wacht sie aus ihren Gedanken auf. Abrupt springt sie auf und läuft etwas schneller als normal der Gruppe hinterher, um sie einzuholen. Mittlerweile diskutieren Alex und Melli über den Sinn, weshalb Frauen Miniröcke und Higheels tragen und Männer Tennissocken in Sandalen.
Im Bus begutachtet Sophia erneut das Geschenk von Melli. Sie blättert in den leeren Seiten und fragt sich, ob sie wirklich einfach drauf los schreiben soll oder es doch lieber sein lässt.
Die Fahrt über denkt sie an ihre Familie, die sie langsam wieder anrufen sollte und an Ben, den sie einfach nur wieder sehen will. Sie denkt erneut an seinen Geruch und seine vollen Lippen, die auf dem Steg so nah kamen, dass ihr schwindelig wurde. Sein Atmen war ein Mix aus warmer Sommerluft und Zigaretten. Bei dem Gedanken muss sie kichern und denkt, dass dies eigentlich eine schreckliche Mischung ist, aber in dem Moment war es die süßeste Versuchung, der sie je begegnet war.

Im Zimmer der Mädchen erzählen alle wie wild durcheinander von ihren Erlebnissen an dem heutigen Tag. Bis zum Abendessen sind noch etwa zwei Stunden Zeit und Sophia beschließt, nach Ben zu suchen. Unauffällig natürlich.
„Aber stell’ nichts an, Püppi!“, witzelt Alex als Sophia das Zimmer verlässt.
Sie läuft eine Weile über das Campgelände, am Kiosk und den Telefonzellen vorbei, bis zum einsamen Spielplatz.
Und dann sieht sie ihn. Sofort hebt sich ihre Laune und mit festen, wenngleich bedachten Schritten macht sie sich auf den Weg zu ihm. Er schenkt ihr ein kurzes Lächeln während er seinen Zigarettenrauch ausatmet. „Du wirst daran noch sterben.“, frotzelt Sophia. „Sterben müssen wir eh alle.“, antwortet Ben bevor er kräftig an seiner Zigarette zieht. Sophia schüttelt nur den Kopf. Sie geht hinüber zu den Schaukeln und macht es sich bequem. Ben folgt ihr und tut es ihr gleich. So verweilen die beiden wortlos einige Minuten.
„Wir waren heute in Stuttgart.“, beginnt Sophia. Ben nickt wenig interessiert. „Und wie war’s so?“ – „Ein bisschen langweilig.“, antwortet sie kurz. Ben zieht erneut an seiner Zigarette und blickt dabei ins Nichts. Sophia beobachtet ihn aus dem Augenwinkel. Er wirkt müde. Vermutlich hatte er heute viel zu tun, denkt sie sich. „Und was hast du heute gemacht?“, versucht sie das Gespräch erneut aufzubauen. „Wonach sieht’s denn aus?!“, fragt er ernst, aber nicht unhöflich. Sophia fühlt sich unwohl und ist über seine anscheinend schlechte Laune enttäuscht. Ben scheint es zu bemerken und wendet sich ihr zu. „Entschuldige, aber ich bin heute nicht gut drauf. Das hat nichts mit dir zu tun.“ Er macht eine kurze Pause bevor er weiter spricht und sieht Sophia nun direkt in die Augen. „Ich werde gleich nach Hause fahren. Habe heute früher Schluss, aber wenn du möchtest, können wir uns trotzdem heute Abend noch treffen.“ Seine Augen bohren sich in Sophias Blick und fast vergisst sie, dass er auf eine Antwort wartet. Sie lächelt zaghaft. „Das klingt gut. Und wo wollen wir uns treffen? Ich darf ja nicht vom Campgelände.“, bemerkt sie. Ben überlegt einen Augenblick. „Ich darf auch nach Dienstschluss nicht aufs Gelände, aber wir können uns am Tor treffen- nur wenn du willst.“ Sophias Herz schlägt schneller als normal und nun strahlt sie ihn an. „Cool, das wäre toll!“ Ben grinst sie kurz an und erhebt sich dann, um das Gelände zu verlassen. „So gegen acht Uhr sollte in Ordnung sein, oder?“ – „Das ist super.“, jubelt Sophia und die Schamesröte steigt ihr ins Gesicht. Ben muss erneut schmunzeln, hebt zum Abschied kurz die Hand und verschwindet dann.
Sophia hängt ihren Gedanken noch einigen Minuten hinterher.

Im Zimmer ist gerade niemand als sie es betritt und Sophia beschließt, sich auf ihr Bett zu legen. Als sie sich setzen will, bemerkt sie das Buch, das sie von Melli geschenkt bekommen hat. Sie hebt es auf und macht es sich auf dem Bett gemütlich. Das Gestell quietscht bedrohlich, doch es hält stand. Sophia öffnet erneut das Buch und blättert durch die leeren Seiten. Dann begutachtet sie den Einband, der ganz schlicht gehalten ist und doch edel wirkt. Sie beugt sich über ihr Bett und greift mit einem Arm unter das Gestell. Dort zieht sie ihren Rucksack hervor, in dem eine kleine Tasche mit Stiften ist. Als sie einen geeigneten Stift findet, schreibt sie mit blauer Tinte die ersten Zeilen hinein…
Elisa
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15.11.2012 00:44
Kapitel 10

Für einen kleinen Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf, einfach ein Strichmännchen zu zeichnen, das auf einer Wiese tanzt. Die Vögel wären über dem Männchen umher geflogen und die Idee an eine Sonne kam mir ebenfalls.
Aber dafür ist dieses Buch zu schade und eine herausgerissene Seite sieht genauso wenig edel aus wie dieser Einband.
Während ich mir über die Bedeutung des Buches Gedanken mache, platzt schon Melli herein, die mich freudestrahlend in Empfang nimmt als ob wir uns seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hätten. Das liegt wohl weniger an meiner Person als an der Tatsache, dass ich mit ihrem Buch inklusive Stift in der Hand auf meinem Bett sitze. „Hey, fängst du etwa gerade an etwas zu schreiben?“, fragt sie mit einem breiten Grinsen. Ich nicke nur und versuche ihr Grinsen zu erwidern. „Lass dich nicht stören. Ich wollte eh nur eine Jacke für mich holen. Wir sind hinten im Hof. Wenn du also Lust hast heraus zu kommen….“, fängt sie an, doch sie bricht mitten im Satz ab, da sie meinen misstrauischen Blick erhascht hatte. Mit einer schnellen Handbewegung verabschiedet sie sich und schließt die Tür.
Stille.
Absolute Ruhe bringt einen dazu, über Dinge nachzudenken, an die man eigentlich gar nicht denken möchte. Und ich habe definitiv die absolute Veranlagung dazu, solche Momente aktiv zu nutzen.
Unser Urlaub war bisher sehr angenehm und lustig, doch ich denke oft an Zuhause. Es ist nicht so, dass ich direkt an meine Familie denken muss oder sie gar vermisse. Vielmehr denke ich an meinen Alltag dort. Insbesondere an die letzten Wochen und Monate.
Nein, ich will jetzt nicht darüber nachdenken. Ich bin jetzt hier. Irgendwo in Deutschland. Im Wald so wie es scheint. Weit weg vom Meer. Markus…
Ich schüttele so heftig mit meinen Kopf, dass er schmerzt und mir kurze Zeit schwindlig wird. Bis zum Abendessen ist noch etwas Zeit und so beschließe ich mich etwas auszuruhen, obwohl ich mich alles andere als schlapp fühle. Ich spüre eine Wärme in meinem Herzen wie ich es selten erlebt habe. Als ich an die Unterseite der Matratze über mir blicke, schweife ich mit meinen Gedanken vollends ab und bemerke nicht einmal die dunklen Flecken über mir.
Ben wirkt so unnahbar, doch in seiner Gegenwart fühle ich mich gut. Ich genieße diese Wärme, die mein Inneres kitzelt sobald ich ihn erblicke. Er ist nicht so kalt wie er sich gibt. Das glaube ich einfach nicht, denn dann könnte es mir ja nicht so gut gehen bei ihm. Schon komisch diese Situation. Schließlich kenne ich ihn gar nicht gut. Er ist so anders als jeder andere, den ich kenne: Ruhig, unnahbar, selbstbewusst, vielleicht auch etwas arrogant, was ich aber mehr als eine Fassade empfinde und gleichzeitig dieses unwiderstehliche Lächeln und seine ausgelassene Art- insofern er es zulässt.
Plötzlich schrecke ich nach oben und frage mich, wie ich aussehe und stürme zum Spiegel. Meine Haare sind vom Liegen leicht wirr, was allerdings fast gewollt aussieht. Ich lege nur ein paar Strähnen in die richtige Richtung und greife ein paar Mal in mein Deckhaar, um es wilder erscheinen zu lassen. Mein Lidstrich gefällt mir nicht mehr und ich entferne ihn mit einem Wattepad, den ich von Alex klaue, trage neue Wimperntusche auf und lege eine neue Schicht Puder auf Nase, Stirn und Wangen. Im Spiegel übe ich einen verführerischen Wimpernaufschlag, doch ich komme mir mehr als bescheuert vor. Also lasse ich schnell davon ab und sehe an mir herunter. Ob ich heute Abend das gleiche tragen soll, wenn Ben und ich uns sehen? Nein, bloß nicht. Die Jeans ist in Ordnung, doch ich ziehe lieber ein anderes Oberteil an. In meinem kleinen Schrankfach springt mich ein lila Longsleve an. Dazu eine meiner weißen Perlenketten, die so lang wie der eigene Arm wäre, wenn man sie nicht doppelt um den Hals legen würde. In dem kleinen Spiegel sehe ich nur meine Schultern, doch diese Kombination habe ich schon oft getragen sodass ich keinen Check brauche. Ich atme einmal tief ein und aus, nicke meinem Spiegelbild zu und gehe hinaus zum Hof.

„Ah, Prinzessin! Gewähren sie uns eine Audienz bei ihnen?!“, begrüßt mich Alex. Ich verdrehe die Augen und schenke ihr ein schiefes Lächeln. „Audienz gewährt.“, antworte ich als ich mich neben sie auf einen Baumstamm setze. „Das ist sehr aufrichtig von ihnen, denn ich habe so einige Dinge mit ihnen zu besprechen, Prinzessin.“ Ich hebe meine Augenbrauen und sehe sie fragend an. „Euer Volk möchte wissen, ob die Gerüchte stimmen, dass sie mit einem Stalljungen eures Hofes…“ Melli fällt ihr ins Wort. „Boah Alex, hör doch auf mit so einem Mist!“ Sie funkelt sie mit gespielter Aggression in den Augen an. Dann lachen wir gemeinsam. „Aber hey, ihr müsst schon zugeben, dass ich mich gut gemacht hätte zu der Zeit als man so gesprochen hat!“, bemerkt Alex mit erhobenem Zeigefinger. Ich greife liebevoll nach ihrer Hand und drücke sie sanft als sie ihren Arm niederlässt. „Du wärst vermutlich eh eine Königin gewesen.“, besänftige ich sie. „Kaiserin!“, ruft Alex so laut, dass einige Jugendliche skeptisch zu uns herüber sehen. „Ja genau, ihr habt richtig gehört. Kaiserin wäre ich gewesen!“, ruft Alex mit geschwollener Brust, was mir und Melli einen erneuten Lachanfall beschert. Als wir uns einigermaßen wieder beruhigt haben, stupst Alex mich an, hebt eine Augenbraue und setzt ihren spitzen Mund auf. „Nun sag schon.“ – „Wir treffen uns nach dem Abendessen.“, sage ich mit etwas zu hoher Stimme und beiße mir leicht auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken. Alex’ Augen werden groß und leuchten. „Deswegen der Fummel.“ Ihre Bemerkung ist mehr eine Feststellung als eine Frage, aber ich nicke als wäre es Zweiteres gewesen. „Na dann lass uns schnell etwas essen gehen, damit du schnell abdüsen kannst. Wo trefft ihr euch überhaupt?“, fragt sie auf dem Weg zur Kantine. Ich erzähle ihr von der kurzen Begegnung mit Ben und unserem Treffpunkt. „Wieso grinst du so schief?“, frage ich nach meinem Kurzvortrag. „Ach Püppi, ich stehe ja überhaupt nicht auf so was, aber das ist echt süß.“ Ich sehe sie irritiert an während wir fürs Abendessen anstehen. Es ist ziemlich laut durch das Besteck, die Tablette und die vielen Leute, die auf ihr Essen warten. „Jaja, denk was du willst.“ Diesmal verdreht Alex die Augen. „Aber hey, weißt du woran mich das erinnert mit dem Tor und so?“, fragt sie plötzlich ganz aufgeregt. „Nein, Alex. Verschone uns mit Ost und West und solchem Quatsch.“, mischt sich Melli ein, die die ganze Zeit still zugehört hatte und verzieht den Mund dabei. „Wow, du hast auch daran gedacht? Dann war das ja gar nicht so abwegig.“, sinniert Alex und grinst zufrieden vor sich hin. Ich habe nie ganz verstanden woher sie ihre ganze Energie nimmt. Auch wenn ich weiß, dass vieles ihrer guten Laune gespielt ist, so macht sie es doch sehr gut und wirkt ansteckend. Sie neidet einem fast nie etwas und versucht immer wieder ihren Gegenüber zum Lachen zu bringen.
Das Essen war wie immer scheußlich. Die Erbsen waren teilweise noch gefroren und das Fleisch viel zu schwarz. „Vielleicht sollte ich meiner Mutter diese Art und Weise vom Kochen vorschlagen. Bei so einem Fraß nimmt man super schnell ab.“, bemerkt Alex mit ihrem verschmitzten Lächeln. Ich wende meinen Blick nicht vom Teller ab und denke nur an das bevorstehende Wiedersehen. Langsam aber sicher beginnt mein Herz wieder anzufangen fest gegen meinen Brustkorb zu schlagen. Unbewusst wackele ich mit meinem Bein unter dem Tisch auf und ab. Melli legt mir ihre Hand aufs Bein und schenkt mir einen verständnisvollen Blick. „Mach dich nicht verrückt.“, sagt sie sanft.

Kristina musste ich versprechen auch wirklich auf dem Gelände zu bleiben. Ich erzählte ihr, dass ich nur ein wenig umher gehen wolle. Vielleicht dachte sie, dass ich heimlich rauchen würde oder vielleicht war es ihr eigentlich auch egal, denn durch die Dummheiten, die die Jungs aus der Gruppe gerne anstellten, gingen wir Mädchen des Öfteren schnell unter. Nicht, dass mir das etwas ausmachen würde.
Schon aus der Ferne erkenne ich ihn und sein Moped. Er hat direkt am Toreingang geparkt und sieht in meine Richtung. Das Tor ist mit einer alten Eisenkette verschlossen. Ich grinse ihn schelmisch an als ich nur noch etwa fünf Meter von ihm entfernt bin. „Hallo.“, sagt er kurz, aber freundlich. Ich nicke zur Begrüßung und lege meine Hände an das Torgitter und rüttle leicht daran. Ja, eingesperrt fühle ich mich. Aber wenigstens habe ich einen schönen Ausblick, denke ich still bei mir. „Tja, zu spät. Schon verschlossen.“, entgegnet er auf meine Geste. Ich lasse vom Tor ab und spüre wie die alte Farbe in meinen Händen zerfällt. „Oh, hier wurde wohl schon länger nicht mehr gestrichen.“, bemerke ich während ich versuche meine Hände von der rostigen Farbe zu befreien. „Das stimmt. Ich soll das nächste Woche erledigen. Bei gutem Wetter und das lässt ja teilweise echt auf sich warten.“ Sein Grinsen raubt mir fast den Atem. Ob er sich dessen bewusst ist? Er scheint bester Laune zu sein. Das merke ich direkt an seinem ganzen Auftreten und natürlich über die längeren Sätze, die er von sich gibt.
„Wie viel Zeit hast du?“ Bens Frage reißt mich aus meinen Gedanken. „Gute Frage. Ich weiß es gar nicht. Habe gesagt, dass ich ein wenig umher laufen möchte.“ Er nickt zustimmend. „Dann hast du ein bisschen Zeit.“ Wieder dieses Lächeln. Es wird etwas windig und wir beide kämpfen mit unseren Haaren, was mich zum Lachen bringt. Ben sieht mich etwas verdutzt an, doch er versteht schnell und lacht ebenfalls kurz auf. „Ich will sie mir schon seit langem wieder abschneiden…“ – „Nein!“, falle ich ihm ins Wort und mir ist es unsagbar peinlich, da ich etwas zu schnell und laut reagiere. „Okay, ich wusste nicht, dass du ein Mitspracherecht besitzt.“, entgegnet er sichtlich belustigt über meine Reaktion. Beschämt sehe ich zu Boden. Die Erde ist noch feucht und die Luft riecht erneut nach Regen. Meine Hände sind eisig kalt, da ich in meiner Aufregung mal wieder eine Jacke vergessen habe. Trotzdem versuche ich mir nichts anmerken zu lassen. „Morgen habt ihr Neptunfest?“, beginnt Ben ein neues Thema. „Ja, jippieh!“, reagiere ich mit gespielter Begeisterung. „Hoffentlich werde ich nicht getauft. So ein Ekelzeug will ich nicht abbekommen.“ – „Ach was, ist doch lecker: Ketchup, Majo, Apfelsaft und was man da sonst noch so rein tut in das Taufbecken.“ Ben scheint sichtlich erfreut über diese Vorstellung. „Tu dir keinen Zwang an. Du kannst dich gerne taufen lassen.“, sage ich und sehe mit einem frechen Grinsen zu ihm auf. „Oh nein, bleib mir damit nur weg!“ Er wedelt wild mit den Armen vor seinem Körper. Erst jetzt bemerke ich, dass auch er sich umgezogen hat. Saubere Jeans und Jeansjacke. Ich muss lächeln. „Gerade warst du doch noch so heiß auf eine Taufe.“ – „Nur, wenn ich derjenige bin, der die Leute tauft. Das ist ein Unterschied.“, bemerkt er. „Siehst du dir das Spektakel denn dann morgen an?“, frage ich ihn und hoffe insgeheim, dass ich ihn dort sehen kann. „Ich denke nicht. Beim Tragen werde ich wohl helfen dürfen“ – er macht eine abwertende Bewegung- „aber sonst werde ich wohl anderweitig beschäftigt sein.“ Ich halte mit meiner Enttäuschung nicht hinterm Berg und Ben setzt direkt einen Satz hintendran. „Aber deswegen werden wir uns morgen bestimmt trotzdem sehen.“ Sein Lächeln bereitet mir wieder diese Wärme im Herzen. Meine kalten Hände sind längst vergessen sowie jedes andere negative Gefühl.
Die Sonne verschwindet ganz langsam hinter den Bäumen auf der anderen Seite des Camps und Bens Gesicht wird in einen warmen Orangeton getaucht. Sein Gesicht wirkt dadurch viel weicher, aber auch seine kleinen Denkfalten werden durch die Schatten auf seiner Stirn deutlicher. Mir gefällt dieser Anblick und fast hätte ich mich darin verloren, wenn seine Augen sich nicht so in meine gebrannt hätten. „Was ist?“, frage ich, um meine Unsicherheit zu überspielen und schenke ihm ein Lächeln. „Wie du mich manchmal ansiehst. Du hast so einen durchdringenden Blick. Als ob du direkt in mich hinein sehen könntest.“ Seine Worte rauben mir den Atem. Verwundert sehe ich ihn an und mein Gesicht muss wirklich komisch aussehen, denn Ben kann sich kaum halten vor Lachen. Er lehnt sich leicht gegen sein Moped und hält sich den Bauch. „Sorry, das war echt albern was ich gesagt habe. Ich lache nicht über dich. Naja, doch auch, aber nicht nur.“ Langsam beruhigt er sich wieder. Ich entspanne mich ebenfalls und muss leise kichern. Wir sehen uns erneut in die Augen und diesmal scheint sich alles um mich herum auszuklinken. Es gibt nur ihn in diesem Moment. Ich begutachte seine Stirn, die vollen Augenbrauen, seine Wimpern und diese strahlenden Augen, die mich eindringlich beobachten. Seine Stupsnase passt perfekt zu seinem Gesicht. Waren seine Lippen schon immer so voll? Ich bleibe an ihnen hängen und als sie sich bewegen verfolge ich ihre Bewegungen mit einer unbändigen Faszination und Sehnsucht.
„Sophia? Alles okay?“ Ben steht ganz nah am Tor und schnipst mit seiner ausgestreckten Hand vor meinem Gesicht. Ich blinzle ein paar Mal und fange mich wieder. „Sorry, Kopfschmerzen oder so.“, sage ich schnell und fasse mir kurz an den Kopf. Er grinst mich frech an und hat seine Arme über das Tor gelehnt. „Komm mal näher.“, sagt er plötzlich. Sein Ton ist freundlich, aber ernst. Jetzt stehe auch ich direkt am Tor und mein Herz fängt an zu rasen. Mein Atem geht schneller und ich habe Probleme mich aufrecht zu halten. Ben hebt seine Arme und legt seine Zeigefinger auf meine jeweilige Schläfe. Seine Hände sind warm und weich. Er ist so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Nase spüre. Ich halte automatisch die Luft an und vergesse weiter zu atmen. „Tue ich dir weh?“, fragt er plötzlich und lässt von mir ab. „Hey, atmen!“, ruft er mir sanft entgegen und schüttelt mich leicht an den Armen. Ich hole tief Luft und spüre wie meine Lungen sich ausbreiten. Nun habe ich tatsächlich Kopfschmerzen. Ben sieht mich forschend an, legt dann aber ohne ein weiteres Wort die Hände an meine Schläfen. Seine zarten Bewegungen bringen mein Blut zum Kochen. Meine Beine geben langsam nach und ich halte mich instinktiv am Tor fest. Meinen Atem kann ich nicht mehr kontrollieren und mein Herz schlägt mit voller Kraft gegen meine Brust. Es droht heraus zu springen. Plötzlich sind die Hände verschwunden und es wird kalt um mich herum. Als ich die Augen wieder öffne steht er noch immer ganz nah bei mir und lächelt mich schelmisch an. „Und?“, fragt er erwartungsvoll. „Besser, danke.“, sage ich noch leicht benommen. Er sieht mich selbstzufrieden an. Erst jetzt bemerke ich, dass die Sonne nun fast komplett hinter den Bäumen verschwunden ist. Ben verfolgt meinen Blick und versteht schnell. „Wird wohl langsam Zeit, oder?“ Seine Stimme wirkt gefasst, aber auch ein wenig traurig. Ich nicke wortlos und sehe ihn an. „Aber es war sehr schön, auch wenn der Ort hier etwas ungewöhnlich ist.“, sage ich zu ihm. Unsere Haare wehen erneut im Wind. Eine Gänsehaut überkommt mich und ich schüttle mich. „Dann geh schnell rein. Mir wird auch langsam kalt und das heißt schon was.“ – „Und wenn ich gar nicht hinein gehen mag?“, frage ich ihn herausfordernd. „Dann wirst du wohl erfrieren“, entgegnet er, „was aber sehr schade wäre.“, fügt er schnell hinzu, was mich zum Strahlen bringt.
In dem Moment höre ich jemanden meinen Namen rufen. Es ist Kristina. Sofort fallen meine Mundwinkel nach unten und ich verdrehe die Augen während ich mich langsam von Ben abwende. Ich hebe eher widerwillig die Hand in Kristinas Richtung. Sie scheint sichtlich erleichtert als sie mich erblickt und kommt mit festen Schritten auf mich zu. Als sie allerdings auch Ben sieht, verfinstert sich ihre Miene ein wenig, was mir ein unbehagliches Gefühl verleiht. „Wieso stehst du denn hier am Tor?“, fragt sie mich als sie nah genug bei uns. Dabei wendet sie ihren Blick nicht von Ben ab. Ich drehe mich wieder zu ihm und sehe wie er sofort seine arrogante Miene aufsetzt. Seine Augen kneift er etwas zusammen und hebt sein Kinn etwas während er Kristina ebenso missmutig ansieht wie sie ihn. Ihre Frage schien wohl rhetorisch zu sein, da sie nun zu Ben spricht. „Du kennst die Regeln.“, sagt sie ernst. „Ich habe gegen keine verstoßen.“, sagt er ganz kühl und schenkt ihr ein finsteres Lächeln, was mir wiederum einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Kristina sieht auf das Schloss am Tor. „Ein Grund mehr, weshalb wir hier abschließen.“ – „Ich denke eher, dass ihr Angst habt, dass euch die Jugendlichen weglaufen könnten bei so einem langweiligen Programm.“ Kristina sieht ihn überrascht an. Ich bewege mich keinen Zentimeter. Außer meinem Kopf bewegt sich nichts von mir. „Okay, das reicht jetzt. Sophia, lass uns hinein gehen. Frierst du gar nicht?“ Erst jetzt sieht Kristina mich an. Sie fasst mich leicht, aber bestimmend am Arm, um mich in Richtung Camp zu ziehen. „Du bist ja echt ganz kalt!“, bemerkt sie als sie mich berührt. Und sie hat Recht. Mir ist absolut kalt. Toller Sommer. Ein Sommer, in dem man friert. Im Laufschritt drehe ich mich noch einmal halb um, um Ben zu erblicken. „Schlaf schön.“, sagt er so leise, dass ich es kaum verstanden hätte. Ich lächel ihn verträumt an und nicke in seine Richtung. Kristina redet unentwegt auf mich ein, man solle sich mit solchen Jungen bloß nicht einlassen, da die eh nur Unfug im Kopf haben.
Ihre Worte haben für mich keine Bedeutung. Ich denke nur an sein Lächeln, seine warmen und weichen Hände, die eigentlich gar nicht zum Rest seines Äußeren passen.
Atmen! Schon wieder ein Aussetzer.
Kristina tut so, als ob sie mich vor irgendetwas gerettet hätte und bemuttert mich regelrecht. „Nein, mir ist einfach nur kalt.“, beteuere ich immer wieder. Ich sitze auf einem Sessel in der provisorischen Lobby während Kristina ihren Kollegen von ihren Beobachtungen berichtet. Plötzlich fühlen sich meine Augenlider ganz schwer an und die Müdigkeit kriecht mir in die Knochen. Da erblicke ich Alex, die im Türrahmen zu den Schlafsälen steht. Ihre Arme sind vor der Brust verschränkt und sie grinst frech in sich hinein. Ich verdrehe die Augen und muss mir ebenso ein Grinsen verkneifen. „Kristina, kann ich jetzt in mein Zimmer gehen?“ – „Achso, ja klar, geh ruhig. Es ist gleich Nachtruhe.“ Ich nicke wortlos und gehe zu Alex herüber, die schon tief Luft holt. „Warte noch damit.“, warne ich sie bevor sie etwas sagen kann.
Im Zimmer angekommen sind alle anderen versammelt und fertig fürs Bett. Melli liest wieder in einem Buch und bemerkt uns erst gar nicht. Die anderen Mädchen tuscheln und kichern. Alex schließt die Tür hinter uns und hört fast gar nicht auf ohne Punkt und Komma zu sprechen. „Na du bist mir Eine! Weißt du, wie spät es eigentlich ist? Also du hast echt Mut und dann wirst du auch noch von Kristina gefunden! Hat sie euch bei irgendwas erwischt? Oder wolltest du grad abhauen?“ Alex sieht mich erwartungsvoll an und ihre Augen leuchten dabei. Ich schüttele genervt den Kopf. Ein Grinsen kann ich mir trotzdem nicht verkneifen. Die Mädchen sehen mich an und auch Melli schenkt mir nun ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Nur könnte ich gerade super darauf verzichten. Meine Müdigkeit wird immer größer.
„Ach lass den Mist, da ist gar nichts gelaufen. Kristina hat ein bisschen doof gespielt, weil sie ihn wohl nicht mag und fertig. Das wars.“, sage ich während ich meine Sachen zusammen suche, um ins große Bad am Ende des Flurs zu kommen. „Na das ist aber ein bisschen wenig, Püppi.“, entgegnet Alex enttäuscht. „Du, ich bin echt müde und es war sau kalt draußen. Lass mich bitte erstmal. Morgen können wir noch mal drüber quatschen, wenn es dir sonst keine Ruhe lässt, Alex.“, versuche ich der unangenehmen Situation zu entfliehen. „Nicht zur Ruhe kommen? Ich kann doch jetzt die ganze Nacht nicht schlafen!“, frotzelt Alex und stößt mir leicht in die Seite. Ich stoße zurück und gehe ohne ein weiteres Wort zum Duschraum.
Das heiße Wasser tut meiner Haut gut und bringt sie wieder auf eine normale Temperatur, doch in meinem Innern ist mir alles andere als warm. Die Zeit mit Ben war wundervoll und trotzdem fühle ich mich nicht gut. Kristinas Reaktion hat mich verunsichert. Wieso ist sie nur so gegen ihn? Sie kennt ihn doch gar nicht. Glaube ich zumindest. Warum lasse ich mich so von ihr beeinflussen? Es ist nicht so, dass ich Ben jetzt nicht mehr mögen würde. Absolut nicht. Der Gedanke an sein Lächeln bringt mich selbst dazu. Das ist doch ein gutes Zeichen. Oder etwa nicht? Mir ist klar, dass er kein Unschuldslamm ist. Er hat es ja selbst zugegeben. Die Arbeit macht er hier nicht, weil es ihm Spaß macht, sondern damit er nicht ins Gefängnis gehen muss. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und lasse das Wasser über mein Gesicht prasseln. Plötzlich zucke ich zusammen, werfe meinen Kopf nach vorne und reiße meine Augen auf.
Was hat er eigentlich angestellt, dass er das hier überhaupt tun muss?
Diese Frage versetzt mir einen Stich im Herzen und ich stütze mich an den alten Fliesen ab. „Ach jetzt mach mal keinen Aufstand.“, sage ich laut zu mir selbst. Na und? Dann hat er vielleicht mal Mist gebaut, aber schließlich ist er nun hier und tut das, was man von ihm verlangt. So schlecht kann er also nicht sein und jeder macht mal Fehler.
Als ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin, geht es mir schon deutlich besser. Ich steige aus der Kabine und trockne meine Haare provisorisch mit einem Handtuch vor dem großen Spiegel. Das Licht hier ist weiß, die Fliesen weiß, alles weiß – bis auf die Fugen, die teilweise schimmeln. Ich betrachte mich im Spiegel und ich sehe tatsächlich müde aus. Die kleinen Denkfalten auf meiner Stirn kommen zurück. Sehe ich so in zwanzig Jahren dauerhaft aus? Ich fahre die Linien mit meinem Finger entlang. Super, noch nicht einmal erwachsen und schon Falten, denke ich mir. Ich versuche mein Gesicht zu entspannen und mache ein paar komische Grimassen. Meine noch feuchten und ungekämmten Haare verteilen sich kreuz und quer auf meinem Kopf. Ich fahre noch ein paar Mal mit dem Handtuch durch die Haare und mache mich dann auf den Weg ins Zimmer.
Dort angekommen ist noch das Licht an, aber jedes Mädchen liegt in ihrem Bett. Bis auf Melli scheinen schon alle zu schlafen. „Soll ich das Licht ausmachen?“, flüstere ich. Melli nickt mir freundlich entgegen. Meine Sachen werfe ich lieblos auf den Stuhl neben meinem Bett und husche schnell unter die Decke. Ich atme ein paar Mal schwer ein und aus während meine Augen geschlossen sind. „Wie war es denn nun?“, flüstert Melli plötzlich. Mein Grinsen kehrt zurück. „Schön war es. Er ist wirklich sehr nett.“, antworte ich ihr leise. Melli scheint nachzudenken. „Das klingt aber nicht so euphorisch.“ Sie bemerkt aber auch wirklich alles, denke ich mir. „Naja, Kristina war komisch. Wie die beiden sich angesehen haben. Da wurde einem wirklich direkt kalt.“, flüstere ich ihr zu. „Dann muss ja irgendwas vorgefallen sein, wovon du nichts weißt oder so, aber das kann dir doch egal sein.“ Mellis ruhige Stimme beruhigt mich. „Da hast du Recht.“ Mehr müssen wir nicht miteinander reden. Es ist alles Wichtige gesagt für den Moment und meine Anspannung kehrt langsam aus meinen Gliedern. Die Betten quietschen, wenn sich die anderen bewegen, draußen hört man den Wind durch die Bäume fegen und Alex’ Schnarchen verleiht dem Ganzen eine gewohnte Atmosphäre und Sicherheit.
Elisa
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15.11.2012 00:44
Kapitel 11

Zu unser aller Überraschung ist es am nächsten Morgen schon sehr warm und sonnig draußen. Kleinere Pfützen sind noch vorhanden, aber mit der Mittagssonne sind auch diese verschwunden.
Den Vormittag verbrachten wir damit, Volleyball zu spielen, die Füße wieder in den See zu halten und über einige käseweiße Jungs zu lachen, die am Steg versuchten uns zu begeistern. „Hey Süßer, komm mal näher! Ich kann deine Muskeln nicht erkennen.“, rief Alex zu einem von ihnen herüber. Direkt waren die Lacher wieder auf ihrer Seite.
Nun sitze ich allein auf der Terrasse. Alex und Melli sind mit den Rädern, die man hier ausleihen kann, in das kleine Dorf gefahren, in dem wir damals Eisessen waren.
Dass ich Ben den ganzen Tag noch nicht gesehen habe, finde ich eigentlich nicht weiter verwunderlich und trotzdem beschäftigt es mich nach dem Erlebnis von gestern. Diese kühlen Blicke, die Ben und Kristina sich zugeworfen haben. So habe ich beide in der kurzen Zeit hier noch nie gesehen. Und ich dachte, Kristina wäre ebenfalls das erste Mal hier.
Während ich meinen Gedanken nachhänge, tippt mir jemand auf die Schulter, was mich abrupt zusammenzucken lässt. Schlagartig drehe ich mich um und erkenne erst nicht, wer da vor mir steht, da die Sonne mich blendet und ich nur Umrisse erkennen kann. Dann beugt sich die Person etwas vor und verdeckt mit dem Kopf die Sonne. Ben lächelt mich freundlich, wenn auch etwas zurückhaltend an. Es wirkt fast so als hätte er einen Heiligenschein um seinen Kopf und ich muss darüber schmunzeln. „Sorry, wollte dich nicht erschrecken.“, sagt er noch immer lächelnd. „Ist schon okay. Hab grad an dich gedacht.“ – „Ach echt?“
Oh nein! Innerlich ohrfeige ich mich für diese dumme Antwort. Schnell suche ich nach einer Ablenkung. „Wieso bist du eigentlich hier?“, frage ich ihn. „Ich wollte dich sehen und etwas klarstellen.“, sagt er nun ernst. Mein Herz fängt an schneller zu pochen und mein Kopf schwirrt leicht. „Hm, warte. Wie bist du überhaupt hier hoch gekommen? Du darfst doch gar nicht hier her dachte ich.“, bemerke ich. „Stimmt, aber die Köchin ist die Tante meiner Mutter.“ Nun schenkt er mir wieder sein verschmitztes Lächeln. „Wirklich? Dann sage ihr doch bitte mal, dass das Essen widerlich ist.“ Ben lacht laut. „Gut, ich werde es ihr ausrichten. Möchtest du anonym bleiben?“ – „Ich bitte darum, ja.“, antworte ich und kichere mit. Dann macht Ben wieder eine ernste Miene und atmet einmal tief ein. Ein bisschen zu tief vielleicht. „Das wegen gestern…“, beginnt er. „Das ist echt ein bisschen unglücklich gelaufen. Wegen Kristina und so. Blödes Bening.“ Er setzt sich neben mich auf eine Liege und sieht hinüber zum Spielplatz. „Ich hab nicht ganz verstanden, was das sollte.“, erwidere ich leise. Mein Herz klopft noch immer heftig in meiner Brust. „Sie übertreibt maßlos. Jeder von den Betreuern weiß, dass ich hier Sozialstunden leiste. Einige nehmen es einfach hin und andere- so wie Kristina- machen ein Drama daraus.“, erzählt er weiter. Ich nicke in seine Richtung. Eine Weile herrscht bedrücktes Schweigen zwischen uns. Eine Frage liegt mir so auf der Zunge. Soll ich ihn fragen? Was ist, wenn er böse wird? Ich will nicht, dass er dann direkt wieder geht. Alex würde sicher auch direkt fragen. Ohne groß um den heißen Brei zu reden. Ich balle meine Hände zu Fäusten, hole Luft und frage. „Was hast du denn angestellt, dass einige so kalt auf dich reagieren?“ Meine Brust schmerzt als ich auf eine Antwort von ihm warte. Er sieht mich nicht an. „Das ist doch völlig unwichtig! Ich bin hier und arbeite meine Strafe hier ab.“ Ben muss um seine Beherrschung ringen und presst die Lippen fest zusammen. Er blickt starr geradeaus und sagt keinen Ton mehr. Als er sich schließlich doch bewegt, greife ich blitzschnell an seinen Oberarm. „Geh nicht!“, sage ich fast flehend. Sein Arm ist sehr fest, die Muskeln angespannt und seine Haut ist heiß. Jetzt erst sieht er mich an und grinst frech in meine Richtung. „Ich wollte gar nicht gehen. Die Stühle sind nur echt unbequem hier.“ Ich spüre wie ich rot anlaufe und wende meinen Blick von ihm ab. Auch meine Hände nehme ich schnell zu mir und lege sie in meinem Schoß ab. Wie peinlich! Wie ein kleines Schulmädchen sitze ich da und starre auf den alten Holzboden, der komplett auf der Terrasse verlegt ist. Ben schiebt seinen Stuhl beiseite und lehnt sich neben mich an das Geländer. Ich sehe auf seine Schuhe, die ihre Glanzzeit schon lange hinter sich haben. Auch seine Jeans hat bereits am Bund kleinere Fransen. Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass Markus solche Klamotten nie getragen hätte. Ruckartig beuge ich mich vor und lege meinen Kopf in die Handinnenflächen. „Was ist los?“, fragt Ben mich besorgt, der sich sogleich neben mich kniet. Ich antworte nicht, denn ich habe genug mit meinen Schuldgefühlen und Schmerz zu kämpfen. Wie kann ich es nur wagen die beiden zu vergleichen? Ben ist mit seinem gesamten Körper inzwischen direkt vor mich gerückt und stützt sich leicht auf meinen Knien ab. Ich hingegen richte meinen Oberkörper nur langsam auf und als ich für einen kurzen Augenblick in Bens Gesicht sehe, habe ich das Gefühl, dass mein Ausdruck gerade ebenfalls so aussieht. Wie mitfühlend er gucken kann, denke ich mir. „Ist alles in Ordnung? Hast du wieder Kopfschmerzen?“, bohrt er nach. Ich nicke leicht und schenke ihm ein gequältes Lächeln. „Vermutlich sollte ich damit mal zum Arzt gehen.“, versuche ich die Situation aufzulockern, doch Ben sieht mich noch immer besorgt an. Ich weiche seinem Blick aus und strecke mein Gesicht nach oben, atme einmal tief und ein und aus und sehe dann wieder auf ihn herab. „Jetzt geht’s wieder.“, sage ich und die Kopfschmerzen scheinen tatsächlich geringer zu werden. Ben zieht beide Augenbrauen hoch und fragt „Bist du dir sicher?“. Wieder nicke ich ihm zu und muss nun schmunzeln, da er versucht so fürsorglich zu sein. Ich erinnere mich an den Vorabend, an dem er mich so zärtlich an den Schläfen berührt hatte, sodass ich das Atmen vergaß. Er richtet sich langsam auf und fährt sich mit der rechten Hand durch die Haare. „Langsam werden die echt zu lang.“, murmelt er. Wie ich so zu ihm aufsehe, die Sonne im Hintergrund, und er sich durch die Haare fährt, könnte er tatsächlich aus einer dieser Coca- Cola- Werbungen stammen. Ich muss kichern und denke mir noch, dass er dafür allerdings zuviel anhat. „Wieso lachst du? Das ist mein Ernst.“, entgegnet Ben empört wenngleich belustigt. „Mir gefallen deine Haare.“, kichere ich. „Und wieso lachst du dann?“ – „Das sah schon fast majestätisch aus wie du da so stehst und die Sonne hinter dir ist.“, kichere ich weiter. „Ach echt? Etwa so?“ Ben baut sich auf, spannt seine Arme an und macht typische Posen wie man sie von Sportlern aus Magazinen kennt. Jetzt kann ich mich nicht mehr halten und falle in schallendes Gelächter aus. Ben hat ebenfalls mit seiner Beherrschung zu kämpfen, aber schlägt sich tapfer und macht weitere Posen. Mein Bauch schmerzt vor Lachen und ich muss ihn mir festhalten, da ich das Gefühl habe sonst gleich zu platzen. Jetzt kann auch Ben sich nicht mehr beherrschen und lacht ebenfalls mit. „Das muss total dumm aussehen! Sonst würdest du nicht so lachen! Von wegen majestätisch…!“, lacht er mir entgegen und beugt sich zu mir vor, um mich an den Schultern zu packen und leicht zu schütteln. Das ist das erste Mal, dass wir uns gegenseitig so lachen sehen. Ben hat kleine Lachfalten an den Augen und um die Nase herum. Genauso entdecke ich erstmals, dass er Grübchen hat. Wenn man nur sein Gesicht betrachtet, entdeckt man so viele weiche Züge darin, doch auch kleinere Fältchen sind zu erkennen. Auf seiner Stirn sind sie besondern ausgeprägt, wenn er sein Gesicht verzieht. Sonst fällt es absolut nicht auf. Einen kurzen Moment wünsche ich mir sein ganzes Gesicht zu küssen, die Stupsnase, seine ausgeprägten Wangenknochen, die Grübchen und seinen Mund. Sein Mund sieht so samtig aus, dass ich mich zusammenreißen muss, nicht Unüberlegtes zu tun. Die tollen weißen Zähne blitzen daraus hervor und sein Atem verursacht bei mir einen wohligen Rausch. Unser Lachen verstummt allmählich. Erst jetzt bemerke ich, dass Ben mich ebenfalls mustert. Noch immer hält er mich an den Schultern. Mein Atem geht schneller und ich sehe ihn mit großen Augen an. Um mich herum wird alles dunkel und still. Ich höre nur noch seinen und meinen Atem. Ben beugt sich ein kleines Stück weiter zu mir herunter. Die Zeit scheint stehen zu bleiben. Instinktiv schließe ich meine Augen als ich seine Nasenspitze an meiner spüre. Mein Herz droht erneut heraus zu springen und mir schwirrt der Kopf. Sein Griff an meinen Schultern wird zärtlicher. Er streicht mit seiner Nase kaum spürbar an meinem Nasenrücken hinauf, sodass seine warmen Lippen meine Nasenspitze berühren. Er küsst sie sanft. Ich spüre deutliche Aussetzer in meinem Herzen. Mit meiner rechten Hand berühre ich seinen Arm, der meine Schulter streichelt. Nun gleiten seine Lippen die wenigen Zentimeter zu meinen Mund herab. Wieder berühren sich unsere Nasen. Unsere Lippen sind kurz davor sich berühren als ich ihn von mir wegdrücke und aufspringe. Ben sieht mich verdutzt und gekränkt an. „Ich… ich kann das nicht!“, rufe ich und laufe zurück ins Haus. Ich höre Ben noch meinen Namen rufen, doch ich bleibe nicht stehen. Tränen strömen mir über das Gesicht. Mein Kopf schmerzt und ich habe Probleme die vielen Stufen fehlerfrei herunter zu kommen. Immer wieder übersehe ich eine Stufe und stolpere leicht, kann mich kurzerhand aber noch am Geländer festhalten. Ohne irgendwen zu beachten, der mir entgegen kommt, laufe ich aus dem Gebäude in Richtung Spielplatz. Noch immer fließen über mein Gesicht die Tränen. Als ich den Spielplatz endlich erreiche, bin ich froh, dass niemand zu sehen ist. Ich will mich gerade auf die Schaukel setzen als sich mir fast die Luftröhre zuschnürt. An einem Ort, an dem ich mit ihm allein war, kann ich jetzt nicht sein. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und versuche ruhiger zu atmen, was nur dürftig gelingt. Mit verheulten Augen sehe ich mich um und überlege, wo ich noch hin könnte, doch dann geben meine Beine nach und ich sinke in den noch feuchten Sandboden. Wieder strömt ein Schwall von Tränen aus mir heraus und ich halte mich damit nicht zurück. Ich hasse mich selbst. Die Schuldgefühle kommen erneut hoch, doch diesmal stärker als in den letzten Wochen und Monaten zuvor. Einige Minuten verharre ich in dieser gebeugten Stellung. Mein Magen schmerzt und in Gedanken kann ich mir nicht oft genug sagen, was für ein schlechter Mensch ich bin und wie ich das Markus nur antun könnte.
Ich bin so mit mir beschäftigt, dass ich nicht einmal Melli und Alex bemerke, die sich neben mich knien und versuchen mich aus meinem Trancezustand zu holen. Ihre Stimmen dröhnen nur dumpf an mein Ohr und ich bin auch froh darüber, weil es mir egal ist, was sie sagen.
Plötzlich spüre ich einen heftigen Schmerz auf meiner linken Wange. Es zwiebelt fürchterlich und dann höre ich auch meine Freundinnen wild umher reden. Laut, viel zu laut.
„Du kannst sie doch nicht einfach schlagen!“, schreit Melli. „Meine Güte! Mach doch jetzt keinen Aufstand deswegen! Guck doch: Sie hat schon die Augen auf.“ Dann wenden sich beide wieder mir zu. „Sophia? Hey Maus, sieh uns doch mal an.“, flüstert Melli mir besorgt ins Ohr. Alex schüttelt mich dabei ein wenig. Jetzt ist mir nicht mehr alles gleichgültig und ich werde wütend. Ich richte mich ein bisschen auf und schubse meine Freundinnen von mir weg. Dann stehe ich auf und taumele ein paar Schritte hin und her. „Lasst mich doch mal in Ruhe!“, rufe ich zu ihnen. Alex läuft mir hinterher und hält mich fest. „Kannst du mir mal sagen, was dieser ganze Mist hier soll? Tickst du nicht mehr ganz richtig?“ Sie schreit mir jedes Wort direkt ins Gesicht. Nun steht auch Melli wieder an meiner Rechten und greift nach Alex. „Hör du doch erstmal auf wie eine Irre herum zu schreien!“, sagt sie wütend. Die beiden halten mich jeweils mit einem Arm fest und mit ihren freien Händchen greifen sie nacheinander. „Ich… kann nicht mehr stehen.“, sage ich benommen und sacke wieder in mich zusammen. „Alter Schwede, Püppi, hast du irgendwas genommen?“ In Alex’ Stimme spiegelt sich Sorge und Unsicherheit wider. Jeder andere würde es einfach als dumme Äußerung abtun, doch das ist nicht der Fall. „Bitte lasst mich doch mal einen Augenblick allein.“, jammere ich. „Das können wir aber nicht.“, antwortet Melli sanft. „Wie kannst du nur immer so entspannt sein?!“, fragt Alex bitter. Melli verdreht die Augen und reagiert nicht weiter auf die Bemerkung. „Bitte rede doch mit uns. Was ist passiert? Hat dieser Ben dir was getan?“ Diese Frage macht mich erneut wütend und ich schlage nach Melli. „Nein! Und jetzt verzieht euch!“, schreie ich und fange erneut an zu weinen. „Der muss ihr doch was getan haben…“, höre ich Melli zu Alex murmeln. Alex schüttelt sofort den Kopf. Dann überlegt sie einen Moment und zeigt schließlich mit dem Zeigefinger nach oben. „Du Prinzessin? Kann es sein, dass das was mit Markus zu tun hat?“ Blitzartig schnellt mein Kopf nach oben und meine Augen funkeln sie böse an, sodass ich in Alex’ Gesicht kurze Erschrockenheit erkennen kann. Dann aber grinst sie frech. „Du willst uns nicht allen Ernstes sagen, dass du diesen Aufstand wegen ihm machst?“ – „Ihr habt doch keine Ahnung! Keiner von euch!“, schreie ich ihnen entgegen. Beide schütteln missmutig die Köpfe und sehen zu Boden. „Ich dachte, das hättest du nun endlich überwunden.“, fängt Alex erneut an. Melli nimmt mich indessen in den Arm und ich lehne meinen Kopf gegen ihre Schulter. „Jetzt beruhige dich erst einmal und dann erzähle uns doch mal, was passiert ist.“, sagt sie ruhig. Alex sagt gerne, dass Melli mal die Mutter der Nation wird und gerade jetzt hält sie mich so wie es meine Mutter tun würde, wenn es mir schlecht ging. Ihre Ruhe und Zuversicht wirkt ansteckend. Langsam beruhige ich mich wieder. Meine Augen sind rot geschwollen und schmerzen. Alex hat sich mittlerweile auf einen Stein gesetzt, der etwa drei Meter von uns entfernt ist. Melli und ich haben uns noch keinen Zentimeter bewegt und keine von uns macht Anstalten es zu ändern. Die beiden warten geduldig auf mich. Dann hole ich tief Luft und beginne zu erzählen. „Ben war auf der Terrasse, weil er das von gestern klären wollte. Er wollte nicht, dass ich falsch über ihn denke.“ – „Hat er denn gesagt, wieso er hier ist?“, unterbricht mich Alex. „Alex!“ Ich kann Mellis bösen Blick förmlich spüren. Alex streckt die Arme nach oben als Geste, dass sie sich ergeben würde und ich berichte weiter.
Als ich bei der Stelle vom Kuss ankomme, schießen mir erneut Tränen in die Augen. „Und ich habe einfach so Schuldgefühle gegenüber Markus. Ich kann nicht so weiter machen als wäre nichts gewesen.“ Melli drückt mich erneut. „Gut, Püppi, ich bin ehrlich: Ich verstehe dein Problem nicht. Wir haben dir schon so oft gesagt, dass du weitermachen musst. Und wenn du meinst, dass Markus dein Leben wäre, musst du dein Leben so führen wie er. Tot.“ – „Alex!“, ruft Melli empört. „Na ist doch wahr! Was sollen wir ihr denn noch sagen? Sie wird doch sonst nie mehr normal in der Birne.“, entgegnet Alex unbeeindruckt von Mellis Empörung. „Deswegen musst du ja nicht immer so taktlos sein.“, bemerkt Melli. Dann wendet sie sich mir zu. „Vom Prinzip hat Alex Recht mit dem, was sie sagt. Du darfst dich nicht von Markus abhängig machen, denn er ist nicht mehr hier. Und wir sind doch alle noch so jung. Da kann man doch nicht sein Leben beenden, Süße.“, sagt sie sanft mit festem Blick. Ich bin sichtlich gerührt von ihren Worten. „Er war aber meine erste große Liebe….“, sage ich traurig und mir versagt die Stimme. „Der dich betrogen hat!“, unterbricht mich Alex. Ich muss schlucken. „Ja, der mich betrogen hat.“, gestehe ich mir ein. Ja, ich muss es mir eingestehen. Markus’ Tod war schrecklich, doch deswegen darf ich ihn nicht als eine Art Gottheit ansehen oder dazu machen. Ich lebe, er ist tot… Meine Gedanken schnüren mir die Luft ab und ich krümme mich erneut vor Schmerzen. Dabei spüre ich Mellis Hand auf meinem Rücken, die mich versucht zu beruhigen. Mein Schluchzen erstickt langsam, doch die Schmerzen in Lunge und Magengegend brechen nicht ab. Mein Kopf dröhnt und mir ist schlecht. Erneut steigt Wut in mir auf, aber diesmal ist es die Tatsache, dass ich so dumm war und Ben so widerlich abgewiesen habe, obwohl es gar keinen erkennbaren Grund gab. Und dann habe ich auch noch eine solche Szene gemacht und bin weggelaufen! Bei dem Wort erschaudere ich und beiße die Zähne fest zusammen, sodass man deutlich die Anspannung in meinem Gesicht sehen kann. Als ich zu Melli und Alex aufblicke wird mir genau das bewusst. Melli sieht mich fragend an und Alex scheint auf das alles gerade keine Lust mehr zu haben. Kann ich es ihr übel nehmen? Ich verstehe mich ja noch nicht einmal selbst. Schuldgefühle machen sich in mir breit und erneut wollen Tränen in mir aufsteigen, doch jetzt unterdrücke ich sie und richte mich langsam auf. Wackelig auf den Beinen sehe ich zum Camp herüber und denke an Ben. Meine Unterlippe bebt und das Atmen fällt mir schwer. Die kühle Luft fühlt sich in meinen Lungen wie ein Reibeisen an. Ich räuspere mich kurz und setze den ersten Schritt in Richtung Camp. „Ich möchte jetzt gerne rein gehen.“ Über meine Stimme bin ich überrascht. Sie hört sich traurig, aber gefasst an. Meine Freundinnen nicken mir wortlos zu und gemeinsam gehen wir zum Schlafgebäude. Auf dem Weg dorthin reicht mir Melli noch ein Taschentuch. Da kommt mir der Gedanke, wie schrecklich ich wohl aussehen müsste. Ich lege mir meine Haare ins Gesicht, damit mich niemand sehen muss.
Vor dem Spiegel in unserem Zimmer wird mir dann das Ausmaß des Ganzen dann erst richtig bewusst: Mein Mascara ist vollkommen verschmiert und zeichnet schwarze Augenringe unter meinen Augen. Ebenso sind meine Augenlider fast vollständig geschwärzt worden. Geschwollene, gerötete Augen machen den Anblick alles andere als angenehmer. Meine grünen Augen leuchten müde aus diesem schwarzen Rahmen hervor. Ich bin plötzlich ganz matt. Ich denke an Ben und frage mich, wo er wohl gerade stecken mag. Denkt er an mich? Ist er wütend? Dummerchen, sicher ist er wütend, sagt eine innere Stimme zu mir. Wie würdest du dich denn fühlen, so abgewiesen zu werden? Ich fasse mir an die Schläfen. Mein Kopf droht zu explodieren. „Püppi?“ Alex’ Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Durch den Spiegel sehe ich ihr in die Augen. Wie sie so schräg hinter mir steht mit perfektem Make Up und cooler Frisur fühle ich mich gleich noch elender. „Komm, ich helfe dir, dich abzuschminken. Du siehst nämlich richtig scheiße aus.“ Ihr altkluger Blick bringt mich zum Schmunzeln und ich lasse mir von ihr beim Abschminken helfen.

Den Rest des Tages sitze ich auf meinem Bett und grübele über das Geschehene nach. Bens verletzter Blick brennt in meinen Gedanken. Immer und immer wieder muss ich daran denken. Zum Glück bin ich schon abgeschminkt, denn jedes Mal bekomme ich feuchte Augen dabei. Wenn ich an Markus denke, schäme ich mich, dass ich so lange an ihm festgehalten habe. Alex’ Worte fallen mir wieder ein. Nein, tot will ich nicht sein. Aber im Erdboden versinken zu können finde ich gerade sehr verlockend. Markus fehlt mir, doch nach Ben sehne ich mich. Und er ist nicht tot! Melli und Alex hatten ihn eine Weile gesucht; konnten ihn jedoch nicht finden. Ich hatte nichts anderes erwartet. Gerade jetzt wird er vermutlich versuchen mir bei der Arbeit aus dem Weg zu gehen. Und ich werde ihn nicht bedrängen. Vielleicht ist es ganz gut, wenn ich so lange warte bis er auf mich zukommt. Aber kann ich das? Und es ist ja nicht einmal klar, ob er mich überhaupt anspricht. Er kann mich auch genauso gut für den Rest des Sommers ignorieren. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich grabe mich mit dem Gesicht in mein Kissen ein und lasse einen kurzen, hysterischen Schrei los. Zum Glück ist niemand im Zimmer. Was für ein beschissener Sommer, denke ich mir. Vielleicht hätte ich mich auch nicht drauf einlassen sollen.
Ich hätte erst gar nicht mitfahren dürfen …
Meine Knie ziehe ich näher an meinen Körper heran und umfasse sie mit einem Arm.
An diesem Tag ist absolut nichts mehr mit mir anzufangen. Ich könnte mich ohrfeigen für meine Dummheit. Was soll er jetzt bloß von mir denken? Während ich mit dem Gesicht zur Wand gedreht bin und in Selbstmitleid versinke, bemerke ich fast nicht wie meine besten Freundinnen zum Zimmer herein kommen. „Nein, ich habe keine Lust jetzt mit ihr zu reden.“, zischt Alex. Plötzlich tippt mir jemand auf die Schulter. Betont langsam drehe ich mich herum, ohne meine Fötusstellung zu verändern. Ich blicke in Alex‘ giftige Augen. Einen Moment lang schweigen wir uns an bis Melli das Wort ergreift. „Alex wollte mit dir reden.“ – „Besser gesagt: Sie schickt mich.“ Dabei macht Alex eine abfällige Kopfbewegung in Richtung Melli. Diese wiederum verdreht nur die Augen. „Und worum geht’s?“ – „Ich soll mich…“ – ein unsicherer Blick zu Melli – „ich will mich entschuldigen wegen vorhin. Ich hätte nicht so grob zu dir sein sollen, aber mir geht das alles so tierisch auf die Nerven und ich will hier Spaß haben und du sollst den erst Recht haben! Aber das hast du wohl irgendwie missverstanden.“ Sie sieht mich nun flehender an. „Kann schon sein.“, bringe ich leicht schnippisch hervor, obwohl es gar nicht so gleichgültig klingen sollte. „So und damit du es weißt, Prinzessin. Ich werde erst wieder ein Wort mit dir wechseln, wenn du wieder zur Besinnung kommst. Ihr beide werdet mich jetzt wohl für total bescheuert halten, aber ich mache da nicht mit. Ich werde deine Macken nicht unterstützen.“ Sie macht eine kurze Pause. „Ich hab alles gesagt.“ Schon ist sie aus dem Zimmer verschwunden. Ich sehe zu Melli, die mich panisch anstarrt und zu mir ans Bett gelaufen kommt. „Du, das wusste ich nicht! Wenn ich mit ihr reden soll, dann sag es mir. Spinnt die jetzt ganz?“ Melli kommt aus ihrem Redefluss gar nicht mehr raus. „Genau mit so was versaut sie uns allen doch den Spaß, wenn sie jetzt allein unterwegs ist! Mann ey, die hat aber auch echt gar nichts kapiert.“ Alex‘ Worte brennen sich in mein Bewusstsein ein. „Ist schon gut. Ganz Unrecht hat sie ja nicht, auch wenn es jetzt weh tut so was zu hören.“, flüstere ich ihr zu. Ich bin zu müde, um klar denken zu können oder zu wollen. „Tu mir einen Gefallen und lass sie in Ruhe, ja? Zumindest mit diesem Thema.“, sage ich nun gefasster. Melli streicht mir behutsam übers Haar und nickt. Erneute Tränen muss ich unterdrücken. Ihre Fürsorge rührt mich. Die dunklen Augen strahlen so eine Güte aus und bei ihr braucht man nie viele Worte. Sie spürt so viel, ist so feinfühlig. Ich schenke ihr ein kleines Lächeln und damit ist zwischen uns vorerst alles geklärt. Sie bohrt nie nach, was oft Vorteile hat. Alex ist fordernd, was auch gut ist. Meistens zumindest. Noch während sie durch mein Haar streicht entspannen sich meine Muskeln und ich falle in einen tiefen Schlaf.

Mitten in der Nacht wache ich auf. Im ersten Moment habe ich Probleme mich zurechtzufinden, doch schnell ist mir klar, dass ich noch immer in meinem Bett liege. Komplett angezogen. Ich strecke meine steifen Gliedmaßen und merke, dass ich ausgeschlafen bin. Mist! Wie spät mag es wohl sein? Ich raffe mich leise auf und suche in meinem Rucksack, der direkt neben dem Bett ist, nach meiner Armbanduhr. Da es allerdings stockduster ist gestaltet sich die Suche schwieriger als erwartet. Innerlich fluche ich während ich weiter krame. Unter meinem Portemonnaie finde ich letztendlich die Uhr. Und wieder könnte ich mich ohrfeigen. Natürlich ist es nur eine ganz schlichte Uhr, die nicht selbst beleuchtet ist und diese Nacht scheint nicht einmal der Mond durch die Wolken.
Behutsam schleiche ich durch das Zimmer und hoffe, dass die anderen Mädchen den Gang frei geräumt haben, sodass es nicht gleich im wahrsten Sinne des Wortes ein böses Erwachen gibt. Mit beiden Armen nach vorne ausgestreckt warte ich darauf endlich die Tür zu erreichen. Meine Augen haben sich mittlerweile etwas an die Dunkelheit gewöhnt, doch wirklich viel kann ich nicht erkennen. Als ich dann tatsächlich den Türgriff ertaste kann ich mein Glück kaum fassen und husche aus dem Zimmer.
Im Flur sind sämtliche Lichter eingeschaltet. Ist es etwa doch noch nicht so spät? Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, gehe ich in den Speisesaal, in dem eine Uhr hängt. Als ich eine der schweren Schwenktüren öffne, leuchtet gerade ausreichend Licht in den Raum, um die Uhrzeit zu erkennen. „5 Uhr erst?!“, keuche ich. Plötzlich höre ich dumpfe Schritte auf mich zukommen. „Ja, 5 Uhr erst.“, wiederholt die Stimme. Es ist Kristina. Aufgeregt zucke ich mit den Augen als ich sie erblicke. Die Kantinentür drückt mir dabei in den Rücken und ich muss einen Schmerzschrei unterdrücken. „Nervig die Tür, stimmt’s?“ Sie scheint völlig gelassen zu sein und nicht überrascht mich zu sehen. Ihre Stimme ist gedämpft und freundlich. „Ich wollte nur wissen wie spät es ist. Ich lege mich jetzt auch direkt wieder hin.“, stottere ich und gehe bereits an ihr vorbei. „Warte. Komm, lass uns mal raus gehen. Es ist noch immer angenehm warm draußen.“ Dabei wedelt sie mit einem Schlüsselbund, wodurch sich meine Frage schon erledigt hat. Sie lächelt mich an und geht durch die Kantinentür, die mich gerade noch bedrängt hatte. Ohne etwas zu erwidern folge ich ihr, denn ich bin hellwach und lieber sitze ich noch ein wenig draußen herum als im Bett den anderen beim Schnarchen zuzuhören.
Links vom Kantinenraum geht es auf einen Innenhof, der nicht wirklich genutzt wird, da er eingezäunt ist und komplett mit großen, grauen Steinplatten versehen ist. Lediglich etwas Unkraut wächst zwischen den Rillen. Kristina setzt sich auf eine braune Bank und kramt in ihrer Jeans herum. Unaufgefordert setze ich mich neben sie. Nun hält sie eine Zigarettenpackung in der Hand. „Stört es dich, wenn ich rauche? Deswegen wollte ich eigentlich auch raus.“, sagt sie gleichzeitig entschuldigend. „Nee stört mich nicht.“ – „Du weißt schon wegen der Vorbildfunktion. Sag es aber bitte nicht weiter, ja?“ – „Keine Sorge. Ich sage nichts.“ – „Danke. Heute ist mal eine Ausnahme, dass jemand von meinen Schützlingen mich dabei sieht.“ Ich nicke und lächle zustimmend. Durch das Flurlicht kann man hier draußen ein paar Umrisse erkennen. Kristina hatte tatsächlich Recht, dass es noch warm ist. Nachdem sie ein paar Züge von ihrer Zigarette inhaliert hat dreht sie sich ein Stück zu mir. Ich schaue indes auf meine Schuhe und wundere mich, dass ich tatsächlich damit geschlafen habe. „Möchtest du vielleicht über irgendwas reden?“, beginnt sie. Nun sehe ich zu ihr auf. „Ich weiß nicht. Eigentlich nicht so.“ Meine Stimme klingt schleppend. Das wird auch ihr nicht entgangen sein. „Okay, das verstehe ich. Darf ich dir dann etwas erzählen?“ – „Klar. Nur zu.“ – „Vorab möchte ich dir sagen, dass Urlaubsflirts zwischen Jungen und Mädchen oft anders empfunden wird. Jungs suchen eher das Abenteuer während die Mädchen sich nach Liebe und Aufrichtigkeit sehnen.“ Nun sehe ich sie doch etwas schräg an. „Ich kann dir nicht ganz folgen.“, sage ich schließlich und versuche ihre Worte zu deuten. „Du machst hier Urlaub. Und dann hast du diesen Ben kennengelernt.“ Sie sieht mich mit erhobenen Augenbrauen an. Bei seinem Namen spüre ich einen Stich in meiner Brust. Der Groschen fällt allmählich bei mir. „Und weiter?“ – „Und weiter möchte ich sagen, dass du dich allein schon aus dem Grund auf nichts Ernstes einlassen solltest, weil du hier nur im Urlaub bist und in ein paar Wochen wieder weit weg.“ Kristinas Augen verengen sich ein kleines bisschen. Sie versucht sich mit ihren Worten langsam an das eigentliche Problem heran zu tasten. Ich nicke, antworte aber nicht. „Ich weiß, dass du das nicht hören willst. Wer will das schon?“ Sie lehnt sich zurück und zieht erneut an ihrer Zigarette, die schon zur Hälfte abgebrannt ist. Als ich noch immer nicht reagiere wird sie offensiver. „Das primäre Problem für mich ist, dass Ben nicht irgendein Junge ist sondern ein Vorbestrafter und er nicht hier ist, um Urlaub zu machen sondern um Sozialstunden abzuarbeiten.“ – „Achso.“ Ich stelle mich dumm. Was soll das denn noch? Das hat sich doch eh schon erledigt. Wieso quält sie mich jetzt? Mein Atem geht unregelmäßiger. „Hast du denn gar nichts dazu zu sagen?“, fragt sie mich schließlich. Ich atme tief ein und rede etwas mechanisch zu ihr. „Zwischen uns beiden ist nichts gelaufen und wird es auch nicht.“ Einatmen!
Kristina hat sich mittlerweile eine zweite Zigarette angesteckt. „Und da bist du dir sicher?“, bohrt sie weiter. „Ja, sehr sicher. Ich war gestern… sehr eindeutig, dass da nichts mehr zwischen uns läuft. Er weiß das also.“ In meinem Kopf beginnt sich wieder alles zu drehen. Das Gerauche von Kristina ist mir dabei keine große Hilfe. „Das wusste ich natürlich nicht. Dann ist ja gut. Wieso warst du eigentlich nicht beim Abendessen?“ – „Mir war schlecht. Und dann bin ich eingeschlafen. Deswegen sitze ich ja jetzt hier.“ Kristina mustert mich von der Seite. „Stimmt, wieso frage ich eigentlich?!“ Jetzt ist sie wieder entspannter und spricht ruhiger zu mir. „Ich finde aber, dass du wissen solltest, weshalb mir das so ein Bedürfnis ist mit dir darüber zu reden.“ Ich dachte eigentlich, dass ich es kapiert hätte.
„Ich habe vom Campleiter gehört, dass dieser Ben nach Ostern hier schon gearbeitet hatte. Allerdings war es da noch für ein Praktikum gedacht. Seine Sozialstunden leistet er jetzt seit 2 Wochen ab. Jedenfalls hatte er auch da einem Mädchen den Kopf verdreht und sie dann wie eine heiße Kartoffel fallen lassen. Und er soll nicht denken, dass er hier Freiwild hat!“ Jetzt schwingt eine Menge Ärger in ihrer Stimme mit. Mich irritiert es nur noch mehr. War das nur eine Masche, um mich rumzukriegen? Hat sich vielleicht deswegen mein Unterbewusstsein gemeldet und abgeblockt? Aber wieso sollte er so gemein sein? Er könnte doch jede haben… „Oh hey, ich wollte dich damit jetzt nicht verletzen oder so, Süße!“ Erst jetzt merke ich, dass ich Tränen in den Augen habe und Kristina mich in den Arm nimmt. „Tut mir ehrlich leid. Das wollte ich nicht. Ich möchte nur, dass du mich verstehst weshalb ich ihm gegenüber so feindselig bin. Nicht weinen.“ Während sie ruhig auf mich einredet wiegt sie mich leicht hin und her. Ich schluchze in ihr Sweatshirt. Hat er mich nur ausgenutzt? Und ich habe mir solche Gedanken gemacht, dass er jetzt gekränkt wäre. Als ich mich beruhigt habe, löst Kristina ihren Griff und rutscht wieder etwas von mir ab. „Er ist wirklich kein guter Umgang für Mädchen in deinem Alter. Allgemein ist er kein guter Umgang. Glaube mir.“ – „Weißt du, was er angestellt hat?“, frage ich monoton. Kristina hält kurz inne. „Das darf ich dir wirklich nicht sagen. Nicht, dass ich nachher noch etwas auf den Deckel bekomme. Ich sage nur soviel, dass er meiner Meinung nach eine härtere Strafe hätte bekommen sollen als ein paar Sozialstunden.“ Ich lasse ihre Antwort zwischen uns so stehen. Lange Zeit ist es zwischen uns still. „Vielleicht solltest du nun wieder ins Zimmer gehen, damit sie keine unangenehmen Fragen stellen wo du warst.“ Ich glaube, dass sie dabei mehr an sich denkt als an mich. Das nehme ich ihr aber keineswegs übel. „Okay, dann… gute Nacht.“, sage ich ruhig und schmunzle sie an. „Ja, gute Nacht. Wir sehen uns zum Frühstück.“ Sie macht keinerlei Anstalten aufzustehen. „Willst du gar nicht rein gehen?“ Ich bleibe im Türrahmen stehen und sehe sie verdutzt an. „Ach das lohnt sich nicht mehr für mich hinein zu gehen. Ich warte jetzt auf den Sonnenaufgang.“ Sie lächelt mich so liebenswürdig an wie ich es am ersten Tag unserer Begegnung in Erinnerung habe.
Stöpsel2403
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15.11.2012 20:45
Bitte bitte noch mehr. Das macht süchtig
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