Mütter- und Schwangerenforum

>>>"Kalter Morgen" von Elisa<<<

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Elisa
20106 Beiträge
14.08.2008 10:23
Seite 15

Ein komisches Geräusch kommt von ihr und plötzlich fängt sie an zu weinen. „Sie bekommt wieder Luft!“, ruft Andrew aufgeregt. Er reißt sie mir aus den Armen und umarmt und küsst sie. Ich verstehe nur Bahnhof. Auf dem Fußboden liegt ein Stück Folie. Es sieht aus als ob es von einer Zigarettenpackung kommt. „Rauchst du?“, frage ich ihn. Er achtet nicht auf mich. Die Kleine hat sich nun beruhigt. Erst jetzt sehe ich sie mir genauer an. Sie scheint so etwa 3 Jahre alt zu sein. Hat schöne, schwarze Haare, etwas lockig, ein zierliches Mädchen, aber nun sieht sie auch wieder gesund aus.
„Ich habe wieder angefangen.“, sagt er beschämt. Das Mädchen schläft plötzlich in seinen Armen ein. „Lege sie auf die Couch, du bist mir eine Erklärung schuldig.“, sage ich bestimmend. In der Zeit setze ich Wasser für Kaffee auf. Im Seitenwinkel sehe ich, wie er sie liebevoll zudeckt. Als er wieder in die Küche kommt, sehe ich, wie er mich beobachtet. „Danke, Megan.“, kommt nur von ihm. „Nicht dafür. Bedanke dich lieber dafür, dass ich dir auch einen Kaffee fertig mache.“ Ich kann ihm gar nicht böse sein. Ich bin einfach nur so froh, dass ich ihn nach dieser langen Woche wieder sehe.
Wir setzen uns genau gegenüber an den Tisch. Wir rühren in unseren Tassen herum. „Dann fang mal an…“, sage ich und sehe ihm dabei direkt in die Augen. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen. Keine Antwort. „Meine Güte Andrew, wer ist das Mädchen? Wo sind die Eltern?“ Stille. Ich tippe mit meinen Fingern auf den Tisch, um ihm auch meine Ungeduld zu verdeutlichen.
Das Mädchen beantwortet meine Fragen.
„Papaaa, wo bist du? Ich habe Angst!“ Andrew springt sofort auf und geht ins Wohnzimmer. „Bitte was??“, rufe ich ihm hinterher. Ich stehe auf, kann jetzt nicht sitzen. Ist das nun ein schlechter Scherz? Ich bin wütend auf die Kleine, kann sie nicht mal ruhig sein und mich mit IHREM Papa reden lassen?
Nach ein paar Minuten kommt er wieder. Ich wasche inzwischen mein Geschirr von den letzten Tagen ab, ich muss jetzt irgendwas machen, sonst gehe ich ihm an die Kehle!
„Megan…“ – „Nein, versuche es erst gar nicht dich zu entschuldigen! Kläre mich nur einfach auf! Und wehe du tischst mir noch einmal irgendeinen Müll auf, dann lernst du mich von einer noch ganz anderen Seite kennen!!“
Andrew setzt sich auf einen Stuhl. „Okay, also sie ist meine Tochter.“ – „Nein echt? Darauf wäre ich jetzt gar nicht gekommen. Komme einfach zum Punkt. Ich will jetzt keine rührende Story von dir hören!“ Ich schaue ihn keinen Moment an. Hätte mein Geschirr Gefühle, sie würden vermutlich schreien, so fest wie ich es umklammere.
„Sie ist aus einem One- Night- Stand entstanden. Wir hatten einmal was. Ihre Mutter lebte damals auch hier im Ort. Als sie dann wohl merkte, dass sie schwanger war, ging sie fort. Ich wusste nicht, dass sie schwanger war. Nach der Entbindung wurde ich von ihrem Vater angerufen, dass ich ins Krankenhaus kommen soll. Es wäre etwas passiert. Sie war damals eine gute Schulfreundin für mich und der ONS war ein Ausrutscher beiderseits.“, er stockt etwas. „Im Krankenhaus dann sagte man mir, dass ich soeben eine Tochter bekommen hätte. Ich habe gar nicht verstanden, habe das für einen schlechten Scherz gehalten. Ich ließ einen Test machen und es stimmte.“ Er sieht hinüber ins Wohnzimmer. „Peggy ist mein Kind.“
Stille.
„Gut. Und wieso kannst du mir noch so etwas gleich sagen? Hast du so wenig Vertrauen in mich?“ – „Nein, aber ich wollte dir nicht wehtun, Megan, das musst du mir glauben!“ Ich setze mich zu ihm. „Du hast selbst genug schon erlebt und ich dachte, dass ich Peggy eh nicht wieder sehen würde, weil ihre Mutter überall umher das letzte Jahr zog. Da dachte ich, dass ich uns auch noch Zeit gebe.“ - „Verzeihe mir, aber nun brauche ich noch etwas Abstand. Das ist wirklich viel auf einmal.“
Wir reden nicht mehr. Ich sage ihm nur kurz, dass er hier bleiben kann mit Peggy. Er bedankt sich.
In meinem Bett schießt mir in den Kopf, dass mein Zwerg nun genauso alt wäre. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
Elisa
20106 Beiträge
14.08.2008 17:39
Seite 16

Mit dem ersten Sonnenstrahl bewege ich mich aus dem Bett. Ich habe nur darauf gewartet, denn ich wollte nicht die ganze Nacht unten herum schleichen.
Die Nacht habe ich geweint, ins Kissen geboxt, ich war kurz davor, herunter zu gehen und Andrew plus seiner Tochter heraus zu schmeißen, weil es mich wahnsinnig machte, dass sie in meinem Haus schliefen. Ich habe es dann doch nicht getan.
Im oberen Flur steigt mir schon herrlicher Kaffeegeruch in die Nase. Ich ahne, dass Andrew schon wach ist. Heute ist ein sonniger Tag und da die Gardinen mittlerweile komplett aufgezogen sind, kneife ich meine Augen zusammen. Die Helligkeit schmerzt total.
Aus der Küche dringt Musik und ich höre Geschirr klappern.
„Hey guten Morgen, schon wach?“, fragt mich Andrew freundlich, aber zurückhaltend. Ich nicke nur, hier in der Küche ist es auch nicht angenehmer. Auf dem Tisch ist schon alles gedeckt. Andrew macht gerade Spiegelei so wie es aussieht und Peggy sitzt am Tisch und trinkt ein Glas Milch. „Setz dich doch schon mal, ich bin auch gleich fertig.“, bittet er mich. Also setze ich mich hin. Ich fühle mich fremd in diesem Haus, in meinem Haus. Mir ist unwohl und Hunger habe ich schon lange nicht mehr. Trotzdem esse ich ein paar Bissen von dem Rührei. Es herrscht bedrückte Stimmung. Peggy scheint ein lebhaftes Mädchen zu sein, aber sie benimmt sich sehr gut am Tisch. „Sag mal Peggy“, beginne ich vorsichtig, Andrew sieht mich an. „Bleibst du jetzt länger bei deinem Papa?“ Ich sehe zu ihm, aber er macht keinen gestressten Eindruck. „Ich weiß nicht, meine Mama hat gesagt, dass Papa mich so vermisst hat und mich deswegen sehen wollte.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch und sehe zu Andrew. Er zuckt nur mit den Schultern. So also hat sie ihn dazu bekommen, dass er sie aufnimmt. „Und wie lange bist du nun schon hier?“ – „Hm…“ Sie zählt und sieht ziemlich süß dabei aus. Andrew flüstert ihr etwas ins Ohr. „Seit 8 Tagen!“, ruft sie laut und zeigt dabei 3 Finger. „Oh, das ist aber lange.“, sage ich und trinke einen Schluck von meinem Kaffee. Es herrscht wieder Stille. Nur durch das Radio ertönen ein paar Stimmen.
Das Frühstück dauert nicht lange, die Verabschiedung genauso wenig.
„Wie lange wird sie bei dir bleiben?“, frage ich ihn. „Ich weiß es nicht, vielleicht für immer?“, er sieht mich ratlos an. Dann gibt er mir seinen berühmten Kuss auf die Stirn und verschwindet mit Peggy in Richtung Farm.
Ich muss mich wieder setzen. Durch den Schlafentzug und die Ereignisse in den letzten Tagen, bin ich total ausgelaugt. Andrew hatte das Geschirr vom Frühstück abgewaschen, ich trockene es nun ab. Danach gehe ich wieder in mein Schlafzimmer und kann dieses Mal endlich schlafen. Und wie ich schlafe.
Ich wache in völliger Dunkelheit auf. Mein Mund ist total trocken. Ich fühle mich besser, viel besser, aber wie spät ist es wohl? Auf meinem Nachtschrank sagt der Wecker kurz vor Mitternacht an. Oh, das ist heftig.
Ich muss mich erst einmal frisch machen. Das kalte Wasser aus der Dusche tut mir gut und macht mich endgültig fit. Als ich fertig bin, stehe ich im Flur und überlege, was ich jetzt tun möchte. Hunger, ich habe Hunger. Also mache ich mir in der Küche ein dickes Sandwich mit leckeren Gurken und Salat, damit mein schlechtes Gewissen nicht ganz soviel Chance hat.
Mit dem Sandwich in der Hand, gehe ich in mein Arbeitszimmer, in dem mein eigentlicher Computer zum Arbeiten steht. Ich setze mich an ihn, lese meine E- Mails und verspüre plötzlich den großen Drang, etwas zu schreiben. Irgendetwas.
Ich beschließe, Lynn etwas zu schreiben, das ich ihr zu der Hochzeit schenken werde. Etwas ganz persönliches. Also mache ich mich ans Werk und schreibe und schreibe, immer mal ein Stück Sandwich im Mund, schreibe ich bis mir die Augen und Finger wehtun. Ich habe ganze 4 Stunden damit verbracht. Und auch so einige Seiten damit gefüllt. Ich lese es mir jetzt noch nicht durch. Was ich ihr schrieb, hat mich wieder etwas aufgewühlt. Ich vermisse sie und kann es kaum erwarten, sie zu sehen. Und mittlerweile kann ich mich sogar auf die Hochzeit von meiner besten Freundin freuen. Vielleicht nehme ich Andrew mit, denke ich mir so und muss schmunzeln. Und vielleicht kann ich mich ja auch noch mit Peggy anfreunden, denn wenn sie nun wirklich bei Andrew bleibt, werde ich wohl oder übel mit ihr auskommen müssen- und sie mit mir.
Elisa
20106 Beiträge
15.08.2008 08:19
Seite 17

Das Klingeln von meinem Handy reißt mich aus meinem Schlaf. Ohne etwas zu sagen, drücke ich auf den grünen Hörer. „Megan, wie geht’s dir? Ich bin es: Andrew. Hast du vielleicht Lust, heute zum Mittagessen zu kommen?“ Ich reiße die Augen auf, um zur Besinnung zu kommen. „Wie spät ist das denn jetzt?“ – „10 Uhr, Megan.“, sagt Andrew. „Ja gut, ich komme gerne. So gegen 12?“ – „Perfekt.“, sagt er und legt auch schon auf. Im Hintergrund schepperte schon wieder etwas.
Ich habe wieder so lange geschlafen, ist ja krass. Ich muss mir angewöhnen, einen Wecker zu stellen, glaube ich.

Pünktlich um 12 Uhr stehe ich vor Andrew Haustür und klopfe. Er öffnet. „Na du, darf ich heute rein kommen oder muss ich draußen essen?!“, frage ich ihn und kann mir ein Zwinkern nicht verkneifen.
Sein Haus sieht ziemlich chaotisch aus. Und das liegt nicht nur an Peggy.
Er nimmt mir meinen Parker ab während Peggy an uns mit ein paar Bechern vorbei rauscht. „Hey Peggy.“, rufe ich ihr freundlich nach. „Ja, hallo.“, sagt sie und wirkt alles andere als interessiert an mir. Naja, egal, gibt ja schlimmeres.
Andrew hat für das Mittagessen Kartoffeln gekocht, dazu Mischgemüse und Fleisch gemacht. Einfach, aber lecker. Ich freue mich sogar mal auf ein Stück Fleisch.
Peggy sitzt links von mir am Tisch und Andrew mir direkt gegenüber. Die Erbsen rollt sie gewissenhaft zur Seite. Sie hat extra kleines Besteck, süß. Andrew hat etwas zu Trinken vergessen und steht auf. Mittlerweile kämpft Peggy mit dem Fleisch, aber da sie nur eine Gabel hat, ist es sehr schwierig für sie. „Soll ich dir das Fleisch klein schneiden?“, frage ich sie. Ihr Blick trifft mich in meinem Innersten. Sie sieht mich böse an und kämpft weiter mit dem Fleisch. „Hey, ich kann doch nichts dafür, dass das Fleisch so groß ist.“ Ich bin sichtlich belustigt darüber. Peggy lässt von dem Fleisch ab, stopft sich ein Stück Kartoffel und ein paar Möhren in den Mund. Sie kaut schnell, sodass man das Gefühl hat, dass sie irgendwo hin will. Andrew kommt indessen mit dem Wasser wieder und schenkt mir etwas in den Becher.
Wir essen relativ still weiter, nur manchmal hört man das Geschmatze von Peggy. Das Fleisch hat sie nicht mehr angerührt. „Soll dir nicht doch einer helfen, Peggy?“, frage ich nach.
Da starrt sie mich so böse an wie ich es selbst nicht besser könnte, springt von ihrem Stuhl auf und schreit „Du bist nicht meine Mami!“. Andrew und ich sehen uns entsetzt an. Er läuft ihr hinterher bis in den Flur, er redet mit mir, aber ich höre nicht genau was. Was habe ich denn falsch gemacht? Das Essen findet ohne Peggy statt. Ich bleibe auch nicht sehr lange. Nach langem küssen wir uns wieder richtig. Andrew bittet mich, noch etwas zu bleiben, aber ich fahre doch.

Ich sitze auf meiner Terrasse und denke über das, was beim Mittag war, nach. Habe ich sie bedrängt? Umso länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir alles.
Nun hat Peggy endlich ihren Papa, aber ihre Mama ist nun weg. Und dann ist da diese fremde Frau, ich, die ihren Papa küsst. Sie wird sich fragen, warum Mama und Papa nicht einfach zusammen sein können. Das können Kinder eh nie verstehen. Mir tut es weh, dass Peggy anscheinend so darunter leidet. Ich hatte ja keine Ahnung! Daher beschließe ich, mich erst einmal im Hintergrund zu halten, denn wenn sie mich kennen lernen will, kommt sie sicher zu mir.
Ich schließe die Augen und denke an die Geschehnisse der letzten 2 Wochen und muss irgendwie schmunzeln, wie aufregend mein Leben plötzlich ist seit ich in dieser Kleinstadt lebe. Das hätte ich in der Großstadt sicher nicht erlebt. Die Sonne kitzelt mein Gesicht. Nein, so was würde ich in der Großstadt erleben und lächele mit der Sonne um die Wette.
Elisa
20106 Beiträge
18.10.2008 01:23
Seite 18

Eine ganze Woche lang war ich nur selten draußen. Ich habe mich voll und ganz auf meine Arbeit an dem Kinderbuch konzentriert und anscheinend kamen meine Vorschläge sehr gut an. Andrew und ich haben uns seit dem Mittagessen auch nicht mehr gesehen, sondern nur noch telefoniert. Er meinte, es sei besser für Peggy. Die Situation wäre für sie ohnehin schon schwierig genug. Nun gut, ich verstehe das. Ich wollte selbst Abstand irgendwie.
Vor zwei Tagen erhielt ich einen roten Umschlag mit fein säuberlichen Buchstaben an mich adressiert. Das konnte nur von einer Person sein: Lynn.
Es war die Einladung zu ihrer Hochzeit. Sie wollen sogar noch dieses Jahr heiraten- an Silvester. Mensch, da hat es aber jemand sehr eilig, denke ich mir beim Lesen der Karte.
Sie bittet mich, sie anzurufen. Ich seufze auf und greife zum Telefon, wähle ihre neue Nummer aus der E- Mail und warte.
„Lynn Raddick“ – „Hey Lynn, hier ist Megan, wie geht’s?“ – „Mensch Süße, mir geht’s super, hast du die Einladung schon bekommen?“ – Ja, habe ich, danke.“ – „Das freut mich, geht’s dir gut? Ich habe dir soviel zu erzählen, es muss jetzt alles schnell gehen.“ Sie lacht laut und fröhlich auf. „Ich kenne das, sage ich und lache kurz auf, „Und werdet ihr alles pünktlich schaffen?“ – „Ach klar, du kennst mich doch. Pass auf, ich würde mich total doll freuen, wenn du meine Trauzeugin werden würdest. Das ist mir total wichtig!“ Stille. „Megan?“ – „Ehm, ja, was? Oh sorry, ich hab irgendwie- geträumt. Klar würde ich gerne Trauzeugin werden.“ – „Oh das ist toll, Süße! Du müsstest dann aber etwas früher kommen wegen dem Kleid.“ – „Brauch ich da ein besonderes Kleid?“ – „Na aber hallo, du bist doch auch ´ne besondere Freundin!“
Ich versuche so normal wie immer zu wirken, doch sie bemerkt meine Bedrücktheit. Ich schiebe es auf die viele Arbeit derzeit, sage ihr aber zu, dass ich am 27. Dezember zu ihr fliege. Wir reden über dies und das. Von Andrew mag ich aber nicht erzählen.

Ich fahre neuerdings viel in der Landschaft umher, halte irgendwo an, steige aus und versuche, den Moment in mich einzusaugen. Ich brauche neue Ideen, denke ich mir. Daher hole ich mir einen Stift und meinen Block und versuche, die Szene vor mir so detailgetreu zu beschreiben wie es nur geht. Das tut gut.
Man sollte viel öfter auf die kleinen Dinge achten. Zum Beispiel wie ein Grashalm sich im Wind bewegt oder das Rascheln der Bäume und wenn die Sonne hindurch scheint. Solche Dinge sollte man viel öfter genießen und schätzen lernen.
Mittlerweile ist es schon kühler geworden und einige Bäume verlieren ihre Blätter. Es wird stürmischer und ich habe ein wenig mit meinem knallroten Schal zu kämpfen, der mir ständig um den Hals herum fliegt.
Auf meinem Rückweg fahre ich am Haus von Andrew vorbei und überlege, ob ich nicht doch mal vorbei schauen sollte. Ich sehne mich so nach ihm! Ich fahre weiter.
Zuhause rufe ich ihn an, doch niemand geht ran. Naja, dann nicht, denke ich mir so und rufe meinen Vater an. Er ist Zuhause und wir reden eine ganze Weile über dieses und jenes und ich erzähle ihm von Lynn und ihren Neuigkeiten. Er freut sich sehr für sie, was ich ihm nicht verübeln kann.
Und wieder endet mein Tag mit einem Küsschen an mein Wunderkind und ein paar lieben Worten bis ich mich in die Badewanne lege und anschließend gemütlich in meinem Bett einschlafe. Heute ging es mir wirklich gut.
Und für den morgigen Tag habe ich mir vorgenommen, Andrew zu besuchen. Wir müssen überlegen, wie es mit uns weitergehen soll, wenn es weitergehen soll.
Ich bin froh, dass ich schnell einschlafe.
Elisa
20106 Beiträge
18.10.2008 01:55
>>>Kapitel 3<<<
Seite 19

Mein Herz klopft ganz schnell. Ich stehe vor Andrews Tür und klingele. Niemand öffnet. Das kennt man ja schon irgendwie. Geduldig warte ich, dann klingele ich abermals. Diesmal höre ich Gepoltere und Andrew steht vor mir. Mit meinem hinreißensten Lächeln strahle ich ihn an. Ich bin überrascht, denn er lächelt lieb zurück und gibt mir seinen berühmten Kuss auf die Stirn. „Komm rein.“
Mittlerweile sieht sein Haus schon besser aus, aber für meine Begriffe immer noch chaotisch. „Wo ist Peggy?“ Ich ertappe mich dabei, wie ich hoffe, dass sie nicht mehr hier wohnt. „Sie schläft, endlich.“ Andrew geht in die Küche und setzt Kaffee auf. In der Zwischenzeit setze ich mich auf einen alten Stuhl am Küchentisch.
„Ich habe nachgedacht, beginne ich meinen Satz, „ich will mit dir zusammen sein, egal wie. Peggy muss sich früher oder später sowieso an den Gedanken gewöhnen. Es ist bestimmt schlimmer, wenn du sie anlügst.“ Stille. Typisch Andrew. Ich fühle mich unwohl und tippe mit meinem Finger auf dem Küchentisch herum. Er dreht sich mit zwei dampfenden Tassen zu mir und setzt sich mir direkt gegenüber hin. „Danke“, sage ich leise. Langsam werde ich unruhig.
„Ich habe mit Peggy darüber geredet oder vielmehr habe ich ihr erklärt, dass ich eine andere Frau liebe und dass du nicht ihre Mama ersetzen willst, sondern nur eine Freundin für sie sein möchtest. Das hat sie soweit glaube ich ganz gut aufgenommen.“ Die Worte überraschen mich und ich bin so erleichtert, dass er hinter mir steht und mich nicht aufgibt.
„Das freut mich, dass du hinter mir stehst und der Kleinen versuchst, es so schonend wie möglich beizubringen.“ Ich nippe an meinem Kaffee, oh, wie stark der wieder ist. Dabei muss ich das Gesicht verziehen. „Zu stark?“ Ich nicke. Wir beide müssen lachen.
Als Peggy nach knapp einer Stunde wieder wach ist, sagt sie mir kurz hallo und geht raus in den Garten, in dem Andrew eine Schaukel für sie gebaut hat. Wir setzen uns auf die Couch und kuscheln ein wenig. Das hat mir so gefehlt!
Gegen fünf Uhr verabschiede ich mich von Andrew an der Haustür. Es ist richtig frisch geworden draußen. Wir küssen uns innig und ich gehe gerade die Treppen der Terrasse herunter als Peggy nach mir ruft. „Bleib hier!“ Ich drehe mich irritiert um. „Ich soll hier bleiben?“, frage ich mit einem Lächeln im Gesicht. Peggy nickt und bleibt hinter Andrew stehen. Er streichelt instinktiv ihren Kopf. Dieses Bild rührt und plötzlich habe ich das Gefühl, hier sehr willkommen zu sein. „Na gut, dann bleibe ich noch ein wenig.“, sage ich zu Peggy und gemeinsam gehen wir wieder in das warme Haus.
Und auch gemeinsam bereiten wir das Abendbrot vor. Am Esstisch reden wir munter durcheinander. Dieser Abend macht uns allen sichtlich Spaß.
Gegen halb acht hüpft Peggy noch in die Badewanne. In der Zeit wasche ich das Geschirr ab, das sich in den letzten Tagen gestapelt hat. Kurze Zeit später kommt Peggy frisch gebadet zu mir in die Küche, gibt mir die Hand und sagt in einem zuckersüßen Ton „Gute Nacht, Megan.“ Wir schütteln uns die Hände, dann läuft sie schnell in ihr provisorisches Zimmer hinauf. Andrew gibt mir ein Handzeichen, dass er gleich bei mir sein wird.
So sehe ich mich in der Küche um. Ja, so kann man sich wohl fühlen. In Gedanken klopfe ich mir auf die Schulter.
„Megan?“ Andrew steht an der Treppe, ich sehe zu ihm auf. „Was ist denn?“ – „Peggy will dich noch mal sehen.“ Ach, Prinzessin Peggy will mich sehen, denke ich mir und muss schmunzeln. Ich gehe in ihr Zimmer und setze mich auf das viel zu große Bett für die Kleine. „Na du? Hier bin ich.“, sage ich im Flüsterton. Sie sieht mich nur an, direkt in die Augen. In dem Moment schäme ich mich dafür, dass ich so egoistisch war und nicht mal an sie gedacht habe. Wie muss das nur sein, wenn man so umher gereicht wird?
Andrew steht im Türrahmen, nur vom Flur strömt etwas Licht in den Raum. Ihr Puppengesicht lächelt mich kurz an. „Du bist schick.“, sagt sie nur, dreht sich um und schläft. Ich bleibe noch kurz sitzen und lasse den Moment auf mich wirken. Andrew zieht mich sanft aus dem Zimmer. Er schließt die Kinderzimmertür und drückt mich fest an sich. Ich atme tief ein, um seinen Geruch in mir aufzunehmen.
Elisa
20106 Beiträge
29.10.2008 13:12
Seite 20

Die Nacht verläuft sehr leidenschaftlich zwischen uns. Ich spüre förmlich, wie alle Last von mir abfällt. Was Sex so alles bewirken kann, denke ich mir und ertappe mich dabei, wie ich, in Andrews Armen liegend, schmunzel.
„Aaaaaahhh!“ Ich schrecke auf und sitze kerzengerade im Bett. „Peggy?“, rufe ich aus dem Schlafzimmer ins Nichts. Neben mir ist die Seite leer. Andrew muss wohl schon länger wach sein, denn seine Bettseite ist kalt. Eigentlich fühle ich mich noch total schlapp, aber ich springe aus dem Bett, werfe mir ein T- Shirt über und laufe in den Flur. „Auaaaa!“ Als ich die Treppe hinunter schaue, sehe ich Peggy am unteren Ende liegen und weinen. „Was ist denn passiert? Wo ist dein Papa?“, frage ich sie, während ich die Treppen hinunter laufe. „Mein Bein!“ Sie hält ihren kleinen Fuß fest und wippt vor Schmerzen hin und her. Peggy weint bitterlich und ich nehme sie in den Arm. „Wo ist denn dein Papa?“, frage ich erneut. „Im Stall!“ Ich sehe in Richtung Eingangstür, kann aber nichts sehen, da sie nicht wie meine verglast ist.
„Peggy, ich bin gleich wieder da, ich hole deinen Papa, ja?“ Die Kleine nickt nur und weint schon wieder los. Mann, was mache ich denn jetzt? Ich laufe zur Eingangstür und rufe ganz laut nach Andrew. Nichts. Geht das schon wieder los? „ich komme gleich wieder.“, sage ich zu Peggy und sie erhascht einen besorgten, aber liebevollen Blick von mir als sie zu mir aufsieht. Ich werfe mir meinen Mantel um und renne nach draußen.
Ich laufe den Hof ab, aber kann Andrew nirgends finden. „Mann, du Idiot, du kannst doch nicht einfach dein Kind allein lassen!“, murmele ich laut vor mich hin. Sein Auto kann ich auch nirgends finden. „Ach scheiße!“, rufe ich laut aus und renne wieder zum Haus. Mein Gesicht ist eiskalt, aber mir ist total heiß.
„Peggy, pass auf, ich ziehe mir schnell was an und dann fahren wir zum Doktor.“ Mittlerweile ist sie ganz still, wimmert nur. Ich frage mich wirklich, wie sie das geschafft hat. Das Bein wird immer dicker und ich vermute, dass etwas gebrochen ist.
Mit meinem Mantel laufe ich die Treppe hoch ins Schlafzimmer. Mein Handy ist in meiner Manteltasche und ich versuche, Andrew nun über sein Handy zu erreichen. Ich mache den Lautsprecher an während ich meine Sachen zusammen suche und lege es auf das Bett.
„Ja hallo?!“ Seine Stimme klingt genervt. „Ja, hallo.“, sage ich energischer als er. „Falls es dich interessiert: Dein Kind hat sich verletzt, hat einen ganz dicken Fuß und da du nicht da bist, um dich darum zu kümmern, sagst du mir nun besser schnell, wie ich zum Krankenhaus komme und dass sie versichert ist.“ – „Sie hat sich verletzt?“ Seine Stimmung scheint sich plötzlich total zu wenden. Nun hört er sich total besorgt an. Er erklärt mir den Weg zum Krankenhaus.
„Und?“ – „Was und? Fahre los!“ – „Also ist sie nicht versichert.“ Stille. Na super, ich danke dir Andrew, denke ich mir. „Bis dann!“, sage ich und lege auf.
Im Flur schnappe ich mir Peggys Jacke, werfe sie ihr über und nehme sie vorsichtig hoch. Ich versuche, sie zu beruhigen, aber ich bin selbst so unruhig. In solchen Momenten klappt natürlich gar nichts und mein Wagen will nicht aufgehen. Zum Glück kommt gerade ein Angestellter von Andrew und macht uns den Wagen auf und hilft auch, Peggy sicher zu verstauen. Ich bedanke mich und will gerade einsteigen als mir noch etwas einfällt. „Peet, richtig?“ Er nickt und lächelt. „Wo ist Andrew hin? Ich hatte vergessen, ihn am Telefon danach zu fragen.“ – „Er hilft gerade bei einer sehr schwierigen Geburt einer Kuh.“ Ich mache den Mund auf, kann aber nichts sagen. „Megaaaan!“ Peggy befreit mich aus meiner Fassungslosigkeit. „Danke Peet!“, sage ich und fahre endlich los in Richtung Krankenhaus. Auf der Fahrt dorthin frage ich Peggy, wie das passieren konnte.
„Bin gesprungen.“ – „Du bist die Treppe herunter gesprungen? Aber wieso?“ Sie zuckt mit den Schultern. „Wollte fliegen!“ Ich schaue in den Rückspiegel und werfe ihr einen verschmitzten Blick zu. Sie sieht mich schüchtern an und schaut dann schnell aus dem Fenster. „Und wie geht es deinem Fuß nun?“ – „Tut weh.“ – „Das glaube ich dir, aber du wirst sehen: Wenn wir im Krankenhaus sind und man sich deinen Fuß anguckt, wird wieder alles gut.“ Sie nickt.
Elisa
20106 Beiträge
29.10.2008 16:27
Seite 21

Im Krankenhaus angekommen, trage ich Peggy in das Wartezimmer der Notaufnahme. Fast alle Plätze sind besetzt und an der Anmeldung stehen etwa 5 Leute in einer Reihe. Es ist relativ laut und Peggy schaut mich ängstlich an. „Hey, keine Sorge, wir schaffen das, meinst du nicht?“ Ich lächele sie mit so einer Herzlichkeit an wie es nur geht, doch sie schüttelt nur den Kopf und senkt den Kopf. Weiter hinten ist ein Platz frei und ich setze Peggy auf den Stuhl. „Ich muss uns jetzt anmelden, damit wir gleich dran kommen.“ Peggy greift nach meiner Hand. „Ich habe Angst, wo ist Papa?“ Ich versuche, sie abermals zu beruhigen und bin ratlos. „Ich muss uns aber anmelden oder magst du nicht mehr laufen können?“ Sie zuckt mit den Schultern. Ich atme einmal tief ein und langsam wieder aus und schlucke meinen Frust und Ärger herunter. Die Kleine kann ja nichts dafür.
Als ich endlich bei der Anmeldung dran komme, muss ich einige Formulare im Voraus ausfüllen. Man klärt mich auf, dass Peggy nicht versichert ist und ich daher die Kosten allein zu tragen habe bzw. ihr Vater. Ich allerdings muss eine Anzahlung hinterlegen, damit sie Peggy überhaupt untersuchen.
„Wie lange müssen wir denn etwa warten?“ – „Rechnen sie mit etwa 2 Stunden, aber so genau kann man das nie sagen.“, sagt eine Krankenschwester zu mir. „Kann ich wenigstens ein Kühlakku für die Kleine haben? Ihr Fuß ist total geschwollen.“ Die Schwester verdreht die Augen, geht in ein Hinterzimmer und kehrt mit einem blauen Kühlakku wieder. „Danke.“, sage ich und lächel kurz.
„Und wie geht es dir?“ Die 2 Stunden sind schon lange vorbei. Peggy schlief davon etwa eine halbe Stunde. Wenigstens etwas. Ihre kleinen Beine liegen auf meinem Schoß und ich kühle dabei ihren Fuß. Mit meinem Mantel habe ich sie zugedeckt. Nicht einmal an Schuhe für sie habe ich gedacht. Es verwundert mich, wie ruhig sie ist. Ab und zu fragte sie mal, wann wir denn endlich dran wären, aber sonst kam kaum etwas von ihr. Erst wollte ich ein Gespräch mit ihr beginnen, aber was soll ich großartig mit ihr bereden?
Ich denke an Andrew. Was er jetzt wohl macht? Ist die Geburt einer Kuh wichtiger als sich um Peggy zu kümmern? Wieso weckte er mich auch nicht als er ging? Nun sieht er ja, was er davon hat. „Megan, hast du eine Mama?“ Peggy reißt mich mit ihrer Frage aus meinen Gedanken. Ich muss schlucken und sehe sie dann an. „Nein, ich habe keine Mama.“ Etwa zehn Minuten vergehen bis Peggy wieder etwas zu mir sagt. „Und wo ist deine Mama?“ – „Wieso fragst du mich das?“, frage ich sie lieb. Ich muss fast schmunzeln, weil sie wieder nur mit den Schultern zuckt. Das hat sie definitiv von Andrew, denke ich mir.
Endlich wird Peggy aufgerufen. Ich nehme sie vorsichtig hoch und trage sie in das Untersuchungszimmer. Der eigentliche Stress geht erst jetzt richtig los. Der Arzt ist relativ nett, tastet Peggys Fuß ab und versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln, was aber natürlich bei ihren Genen sehr schwer fällt, denn sie schweigt lieber. Ein paar Mal ruft sie „Aua!“ und sieht mich fragend an. Diesmal zucke ich mit den Schultern. „Das müssen wir röntgen.“, sagt der Arzt nur trocken, gibt mir einen Schein und schickt mich drei Zimmer weiter.
Das Röntgen verläuft gar nicht gut, denn Peggy beginnt nun zu schreien und zu weinen. Sie hat Angst vor diesem großen Gerät und hat Schmerzen als eine Frau ihr den Fuß fixieren will und auch muss. Wir versuchen sie abzulenken, zu beruhigen, ich drücke sie an mich, aber nichts hilft. Die Frau gibt es auf und schickt uns wieder zum Doktor. Peggy ist mittlerweile total verstört und klammert sich an mich. Ständig fragt sie nach Andrew und jetzt verfluche ich ihn auch, dass er Peggy so im Stich lässt.
„Da sie so starke Schmerzen hat, müssen wir davon ausgehen, dass zwei Bänder gerissen sind. Bei einem einfachen Bänderriss wäre der Fuß auch auf keinen Fall so dick. Bei ihr reicht aber eine Schiene und gebrochen ist definitiv nichts.“
Erleichterung. Zum Glück muss nicht noch ein Gips an ihren Fuß.
Dank der Schiene kann Peggy schon allein auftreten. Ich frage mich nur, wie so was funktioniert, aber na ja, wichtig ist, dass wir nun endlich gehen können. Nun muss ich nicht mehr soviel Last tragen. Zum einen muss ich Peggy nicht mehr tragen und zum anderen ist mein Portmonai auch umso einiges leichter geworden.
Gerade ich mit Peggy an der Hand aus dem Krankenhaus gehe, läuft uns Andrew entgegen.
Elisa
20106 Beiträge
29.10.2008 17:14
Seite 22

Er rennt Peggy fast um, hebt sie hoch und drückt sie fest an sich und genauso fest klammert sie sich an ihn. „Ein Glück, dass es dir gut geht.“, sagt er zu ihr. Ich stehe daneben und schaue mehr oder weniger an ihnen vorbei. Ich bin so enttäuscht von Andrew!
Mit Peggy auf dem Arm umarmt er mich mit seinem freien Arm und gibt mir einen Kuss auf die Stirn- wie immer. Ich lasse es über mich ergehen, denn jetzt soll er sich erst einmal um die Kleine kümmern. Andrew knüpfe ich mir später vor.
„Sag mal, bist du mit Peggy ohne Kindersitz gefahren?“ – „Was sollte ich denn tun, die Kleine hatte totale Schmerzen, du warst ja weg.“, sage ich so ruhig es geht- also gar nicht. Wir schweigen uns an. Andrew nimmt Peggy in seinem Wagen mit und ich fahre allein. Mir soll es recht sein. Auf halber Strecke biege ich spontan links ab in Richtung Wald. Kurz darauf klingelt mein Handy. Andrew versucht, mich zu erreichen, aber ich stelle es auf lautlos, sodass ich seine Anrufe nicht mitbekomme. Er soll ruhig merken, dass ich sauer auf ihn bin. Peggy ist soweit ja nun wieder versorgt und ein einfaches „Danke“ seinerseits hätte für mich vorerst vollkommen ausgereicht.
Der Waldweg ist etwas rutschig, da es in der Nacht zuvor regnete. Ich fahre einen Hügel hinauf und bleibe am höchsten Punkt stehen. Dann steige ich aus, stemme meine Hände in meine Hüften und genieße die Aussicht. Vor mir liegen einige Felder, die mittlerweile aber sehr kahl sind. Dahinter stehen viele, bunte Bäume und ganz am Ende kann man ein paar Häuser erahnen. Die Wolken sind dunkelgrau und es wird kühler und windiger. Ich atme die frische Luft und, schließe die Augen und richte mein Gesicht in Richtung Himmel. „Ja Mama, wo bist du eigentlich jetzt?“, geht mir durch den Kopf. Ich öffne die Augen und sehe den Wolken zu, wie sie schnell an mir vorbei ziehen. Die Frage von Peggy beschäftigt mich nun mehr als je die letzten Jahre zuvor.
Ich bin kein gläubiger Mensch und doch hoffe ich, dass es so etwas wie einen Himmel für meine Mutter gibt. Der Gedanke war als Kind für mich immer sehr tröstlich, dass meine Mutter über mich nun wacht und vom Himmel aus zu mir sieht. Mein Vater hielt so etwas immer für Schwachsinn. Ich kann es ihm nicht verübeln. Lange hatte ich daran zu knacken, dass ich meine Mutter nie sehen, riechen, hören oder spüren konnte. Als Kind gab ich mir die Schuld für ihren Tod, da sie bei meiner Geburt starb. Ich dachte mir oft: Wenn ich nicht da gewesen wäre, würde sie noch leben.
Heute weiß ich, dass diese Gedanken absurd waren und trotzdem fehlt sie mir. Mein Vater konnte immer so schöne Dinge von ihr erzählen. Sein Leuchten in den Augen rührte mich oft sehr. Er las uns Mädchen keine Geschichten von Cinderella oder Dornröschen vor, sondern erzählte uns von unserer Mutter. Viele Bilder hatten wir von ihr bekommen. Mein Vater behielt nur ein einziges: Sie saß auf einem Steg am See, das Wasser glitzerte, sie lacht so deutlich, dass man meint, man würde etwas davon hören, vor ihr sitzt Nancy mit einem niedlichem Hut und einem Kleidchen. Durch den Badeanzug meiner Mutter kann man sehen, dass sie ein Bäuchlein hat. Da bin ich drin.
Dieses Bild hat mein Vater neben seinem Bett stehen. Bis heute frage ich mich, woher er nur diese Kraft hatte, aus Nancy und mir gute Menschen zu machen und uns eine schöne Kindheit und Jugend zu bescheren. Und ja, manchmal fühle ich mich doch noch schuldig, dass meine Mutter nicht mehr hier sein darf. So ganz werde ich das wohl nie verkraften.
Nun stehe ich hier einsam auf einem Hügel im Nirgendwo und irgendwie habe ich das Gefühl, genau hierher zu passen. Es wird etwas dunkler, da die Wolken sich zuziehen. Ich sollte wohl doch besser nach Hause, bevor es ein Unwetter gibt.
Es beginnt gerade an zu regnen als ich in mein Haus komme. Ich schalte im Flur, in der Küche und im Wohnzimmer das Licht an. Es ist kalt hier und irgendwie fühle ich mich plötzlich ganz verloren. Ich denke an Peggy und ob es ihr gut geht. Vielleicht sollte ich doch hinfahren oder anrufen?
Elisa
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30.10.2008 13:24
Seite 23

Es ist ein kalter und verregneter Morgen. Ich war am Tag zuvor nicht mehr bei Peggy. Andrew hatte sich auch nicht mehr gemeldet. Ich beginne, daran zu zweifeln, ob das so weiter gehen soll. Ich möchte nicht alle zwei Wochen so ein Chaos haben und ich weiß auch immer noch nicht, wieso er mich gestern früh nicht weckte, sondern einfach ging.
Bei diesen Gedanken gehe ich langsam an mein Fenster, um Licht und Luft in das Zimmer zu lassen. Es wird Winter. Einige Bäume sind schon komplett von den Blättern befreit.
Meine Lieblingsjahreszeit ist der Herbst. Er kann kalt und mild sein. Die Natur ist ganz bunt. Als ich so aus dem Fenster sehe ich einen Jeep in die Richtung meines Hauses fahren: Andrew.
Ich werfe mir meinen Morgenmantel um, schlüpfe in ein paar Hausschuhe und gehe hinunter. Die Tür öffne ich noch bevor Andrew auf der Terrasse stehen kann. Er bleibt bei seinem Jeep kurze Zeit stehen. Man sieht ihm richtig an, wie er überlegt, was er nun tun soll.
„Ich wusste nicht, dass du schon wach bist.“, sagt er so leise, dass ich mich wirklich anstrengen muss, ihn zu verstehen. Ich antworte nicht, sondern ziehe nur die Augenbrauen nach oben und warte, was er mir noch zu sagen hat. „Es tut mir Leid wegen gestern. Ich wollte viel früher zu euch kommen, aber das ging nicht und Peggy war ja dank dir gut versorgt.“ – „Du sagst es: Dank mir!“ – „Ach Megan, komm schon, jeder macht mal Fehler.“ Stille. „Warst du deswegen jetzt hier, um mir das zu sagen?“ – „Auch.“ Andrew öffnet die hintere Tür seines Jeeps und holt einen großen DinA4- Umschlag hervor. Wortlos reicht er mir ihn. Ich vermeide es, dass sich unsere Hände berühren. Der Umschlag ist nicht beschriftet, ich öffne ihn und ziehe ein normales Blatt Papier heraus.
„Peggy hat etwas für dich gemalt und ich sollte es dir bringen.“ Ich sehe ihn bei seinen Worten nicht an, aber lächele kurz während ich mir ihr Kunstwerk ansehe. Für ihr Alter kann man wirklich von einem Kunstwerk sprechen. Auf dem Papier ist eine orange Katze, die wachsam auf Pflastersteinen sitzt und darauf wartet, dass ein Mäuschen in ihre Nähe kommt. Die Zeichnung ist echt witzig und süß. „Sage ihr, dass ich mich darüber sehr freue.“ Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, drehe ich mich um und gehe in mein Haus. Als ich die Tür zuschmeißen will, steht Andrew mit seinem Fuß auch schon zwischen Tür und Rahmen. „Ich habe doch gesagt, dass es mir Leid tut!“ – „Das reicht mir nicht.“, sage ich und sehe ihm direkt in die Augen. „Ich will mich nicht jede Woche wegen solchen Dingen ärgern. Das nervt mich. Stört dich das nicht?“ Ich sehe ihn fragend an. „Doch klar stört mich das auch, aber was soll ich denn machen?“ – „REDEN!“ Ich stoße ein verzweifeltes Lachen aus. Stille.
„Wieso hattest du mich gestern früh nicht geweckt? Du kannst doch eine 3- Jährige nicht allein in einem Haus spielen lassen!“ Beschämt schaut Andrew auf den Boden. „REDEN, Andrew, reden, was ist daran so schwierig?“ – „Ich mache das doch nicht mit Absicht.“ – „Das sage ich ja gar nicht und trotzdem musst du dich bemühen, denn ich mache so was nicht mit, wenn ich ständig raten soll, was in dir vorgeht. Du erzählst mir kaum Dinge von dir und trotzdem liebe ich dich, aber ich möchte dir auch blind vertrauen können. Kapierst du das denn nicht?“ Tränen steigen mir in die Augen. Nein, jetzt fange ich nicht an zu weinen. „Ich bin überfordert.“, sagte Andrew wieder so leise. Soviel Ehrlichkeit hätte ich auch nicht erwartet. „Komm rein.“, sage ich nur und setze in der Küche Kaffee auf. „Peggy ist bei meinen Nachbarn. Nur, damit du es weißt. Ich lasse sie nicht mehr allein im Haus.“ Ich nicke und suche Tassen für den Kaffee heraus.
Als wir so mit unseren Tassen uns gegenüber sitzen, beginne ich mich an ein Gespräch mit ihm heranzutasten.
„Was genau überfordert dich?“, frage ich im ganz ruhigen Ton. „Alles. Plötzlich stand sie da mit einem Kind in meiner Wohnung, zwei dicken Koffern, Peggy trug noch einen Rucksack und ihre Mutter drückte mir noch einige Dokumente in die Hand, gab Peggy einen Kuss und weg war sie.“ Er macht eine lange Pause. „Peggy strahlte mich an, nannte mich sofort Papa und fragte, wo denn hier ihr Zimmer zum Spielen sei. Ich war beeindruckt, aber das war alles so unwirklich. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, aber mein Leben ist nicht auf ein Kind ausgelegt. Ich kann mich auch jetzt noch nicht als Vater sehen.“ Ich greife zärtlich nach seiner Hand. „Wieso hast du mir nicht schon früher etwas gesagt? Zu zweit schafft man das doch leichter. Ich weiß ja, dass du auf der Farm gebraucht wirst, aber ich hatte keine Ahnung, dass du so überfordert bist mit der Situation.“ Wir schweigen uns an und trinken unseren Kaffee. Dann sage ich. „Wir könnten doch einen Plan erstellen, dass Peggy vormittags bei mir ist, wenn sie das möchte. Du kannst arbeiten gehen und wenn du fertig bist, holst du sie ab.“
Elisa
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30.10.2008 22:59
Seite 24

So funktioniert es nun schon den dritten Tag.
Peggy und ich malen und basteln viel. Durch ihre Schiene kann sie noch nicht so toben, wie sie es manchmal gerne hätte. Eine Frage brennt mir aber schon seit dem Unfall auf der Seele. „Wie kamst du auf die Idee, fliegen zu wollen?“ – „Weiß nicht.“ – „Wolltest du wegfliegen?“ – „Nein.“ Sie lächelt mich an und ich frage mich, wieso ich gerade die Psychotante spiele. „Wieso hast du keine Mama? Jeder braucht eine Mama.“ Aus ihrem Mund klingen diese schmerzenden Fragen so zuckersüß. Es ist erstaunlich, wie schön sie schon sprechen kann, wenn sie spricht. „Ich habe keine Mama, weil sie an einem anderen Ort besser aufgehoben ist.“ – „Verstehe ich nicht.“ – „Ich auch nicht, Peggy, ich auch nicht.“ Bei der Aussage streichele ich ihren Kopf. „Meine Mama kommt wieder, hat sie gesagt.“ – „Das ist schön.“ Wir spielen weiter. Gestern waren wir in einem Einkaufszentrum in der Nähe und dort fand ich ein kleines Handpuppenset. Peggy fand es auch sofort toll und ich kaufte es ihr.
Heute kommt Andrew etwas später, aber, oh Wunder, er rief vorher an und gab mir Bescheid.
Während Peggy Mittagsschlaf in meinem Bett macht, checke ich meine E- Mails und das, was ich sehe, versetzt mir einen Stich in den Magen.
Lynns Hochzeit! Die hatte ich total vergessen. Sofort will ich einen Flug zu ihr bestellen, doch dann überlege ich kurz, greife zu meinem Handy und rufe Andrew an.
„Hallo Schatz, was gibt’s?“ Ich freue mich über seine liebe Stimme. „Na du, ich wollte dich was fragen und zwar, ob du und Peggy mit mir nach New York fliegen würdet. Meine beste Freundin heiratet, Lynn.“ – „Wann soll die denn sein?“ – „Die Hochzeit selbst ist an Silvester, aber ich fliege schon am 27. dorthin.“ – „Das muss ich mit meinen Leuten hier absprechen, heute Abend reden wir noch mal darüber.“ Wir legen auf und mir geht es gerade wieder super. „Wir reden heute Abend.“ Ich muss laut lachen.
Etwa gegen sechs Uhr decken Peggy und ich den Abendbrottisch. Andrew kam doch noch später als erwartet und so fand ich es nur fair, wenn er gleich etwas zu Essen bekommt. Andrew sieht müde aus, doch er hört Peggy bereitwillig zu, was sie heute alles erlebt hat.
„Kannst du nun mitkommen zur Hochzeit?“, frage ich ihn als wir am Tisch sitzen und sich jeder nach und nach ein Brot nimmt. „Ja, ich bin dir doch auch was schuldig.“ – „Achja? Bist du das?“ – „Du weißt schon. Wegen dem Krankenhaus und so.“ Ich nicke und belasse es dabei.
Nach dem Essen verabschieden wir uns voneinander. Ich möchte heute Abend noch ein wenig arbeiten und das tue ich auch. Ich wasche das Geschirr vom heutigen Tag ab und gehe noch einmal ins Wohnzimmer an meinen Kamin. Lange habe ich mein Wunderkind nicht mehr so betrachtet wie in diesem Augenblick. In Gedanken entschuldige ich mich dafür, dass ich es schon länger nicht mehr geküsst habe. Dies hole ich nun nach.
Mein Arbeitszimmer wirkt kalt und leer und das ist es auch irgendwie. Viel zu selten war ich in diesem Raum. Mir wird bewusst, wie abgelenkt ich die letzten Wochen war, sodass ich nicht einmal mehr zum Schreiben kam.
Ich schreibe bis spät in die Nacht. Es wird irgendwie mehr ein Tagebuch so habe ich das Gefühl, aber es gefällt mir. Mein Leben war in letzter Zeit so aufregend, dass ich mir gar keine Geschichten ausdenken muss.
Meine Augen fangen an zu brennen und auch wenn ich noch gar nicht müde sein will, gehe ich ins Bett und schlafe, eingekuschelt in meine Decke, ruhig ein.
Elisa
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01.11.2008 13:35
Hier mal ein Bild von meiner neuesten Errungenschaft.
Ich sah es und dachte sofort an meine Geschichte. Also musste ich es kaufen.
Nun hängt es im Arbeitszimmer und ich kann unentwegt darauf schauen.

Elisa
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01.11.2008 19:49
>>4. Kapitel<<

Seite 25

Heute ist es ein Tag vor meiner Abreise nach New York. In den letzten Wochen lief zwischen Andrew, mir und Peggy wirklich alles super. Ich war sogar von Andrews Eltern eingeladen worden, an Weihnachten zu ihnen zu kommen, doch ich musste dankend absagen, denn mein Vater und meine Schwester kamen einen Tag vor Weihnachten. Sie fuhren gemeinsam zu mir.
„Megan du Hübsche, hey, du siehst ja fabelhaft aus!“ – „Danke Nancy, du siehst auch super aus.“ – „Na, na, na, nicht so verhalten. Du darfst ruhig zeigen, dass du dich freust. Meine Güte ist das kalt, lass mich schnell ins Haus.“ Nancy brachte sofort wieder Chaos in mein Leben, denn sie zog ihren Mantel aus, doch anstatt ihn an die Garderobe zu hängen, warf sie ihn über den alten, roten Sessel im Wohnzimmer. Mein Vater rannte förmlich auf mich zu, umarmte und küsste mich. Wir hatten uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen. In diesem Augenblick bereue ich es. Ich merke, wie sehr er mir gefehlt hat, aber bei mir ging alles so drunter und drüber, dass ich ihn nicht sehen wollte oder vielmehr konnte.
Provisorisch nahm ich das Bild von meinem Wunderkind vom Kamin und stellte es in meinen Karton. Ich möchte nicht, dass Nancy von dem Thema anfängt.
„Ihr hättet wirklich nicht für die kurze Zeit herkommen brauchen.“, beginne ich. „Willst du uns schon loswerden?“ Mein Vater lacht laut, er scheint sehr glücklich zu sein. Es sind ja auch schon viele Monate vergangen als wir drei wirklich mal zusammen unter einem Dach wohnten. Nancy ist diejenige von uns, die ständig umher reist. Als Eventmanagerin kommt man ja auch viel herum in der Welt. Mein Vater ist ein einfacher Schreiner, aber er liebt seinen Beruf. Und ich? Ich bin einfach die Schriftstellerin, so sagt Nancy.
Nancy breitet sich weiter im Wohnzimmer aus. Ich werde die kommenden Nächte mit ihr im Wohnzimmer verbringen und mein Vater schläft in meinem Zimmer.
Es ist irgendwie komisch, Gastgeberin zu sein in dem Sinne, aber witzig finde ich es auch. Nur bereitet mir der Anblick von Nancys Koffern ein wenig Kopfzerbrechen. „Du weißt aber schon, dass ich in 3 Tagen zu Lynns Hochzeit fliege?“ Nancy lässt sich nicht beirren und bringt ihre Utensilien dorthin, wo sie sie brauchen wird: Bad, Küche, Wohnzimmer.
Am Abend kochen wir gemeinsam. Wir unterhalten uns über viele Dinge, jeder wird über seine Arbeit ausgefragt und ich bin erstaunt, dass Nancy nichts von Andrew erwähnt. Mein Vater geht relativ früh schlafen. Er hat sich die paar freien Tage wirklich verdient.
Nancy und ich kümmern uns um den Abwasch. Viel reden wir nicht. Ich bin auch ziemlich müde. Als Nancy mit ihrem Teil fertig ist, geht sie nach draußen auf die Terrasse, um eine zu rauchen. Ich folge ihr kurze Zeit später.
„Woran denkst du?“, frage ich sie. Nancy nimmt einen tiefen Zug von ihrer Zigarette und sagt beim Ausatmen. „An früher nur, wenn wir in den Ferien hier waren und so viel Unfug machten.“ Durch den Mondschein kann ich ein Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Ich muss automatisch mitlächeln. In der Nähe hier gibt es einen See, an dem wir jeden Tag waren. Dort gab es eine kleine Klippe, an der wir gerne herunter sprangen. An einem Tag zogen sich plötzlich die Wolken zusammen, es stürmte und wurde kalt. Ich stand an der Klippe und wollte noch einmal unbedingt herunter springen bevor wir heimfuhren. Nancy war von der Idee gar nicht begeistert. Sie zog sich an und wollte, dass ich herunter komme, aber ich hörte nicht auf sie. „Ich springe doch nur einmal, das geht ganz schnell!“, rief ich ihr zu und sprang. Das Wasser war sehr unruhig und als ich im Wasser landete, hatte ich das Gefühl, ich würde umher gewirbelt werden. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Die Luft wurde immer knapper. Ich schluckte Wasser, wollte husten, doch dann schluckte ich noch mehr. Ich wurde bewusstlos.
Mit einem Schwall von Wasser aus meinen Lungen wurde ich wach. Ich sah Nancy an. Ihr Blick wechselte von besorgt in erleichtert. „Aber du wolltest ja nicht auf mich hören, kleine Schwester.“, sagte sie mit einem frechen Grinsen. Sie konnte mir gar nicht böse sein und ich war ihr so unendlich dankbar, dass sie mich gerettet hatte.
„Ja, an genau das hatte ich auch gedacht.“, sagt Nancy zu mir und sieht mir direkt in die Augen. „Woher wusstest du?“ – „Keine Ahnung!? Ich bin deine Schwester.“
Elisa
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22.11.2008 01:28
Hier mal ein paar Landschaften, die meinem Bild im Kopf sehr nahe kommen.

Elisa
20106 Beiträge
08.01.2009 11:42
Seite 26

Es ist Weihnachtsmorgen, aber schenken tun wir uns schon einige Jahre nichts mehr. Während mein Vater sich gerade im Bad frisch macht und Nancy versucht, ihr Chaos zu beherrschen, gehe ich nach draußen auf die Terrasse. Die Luft ist eisig kalt und ich friere ein wenig, aber es ist doch so schön, dass ich es genieße. Es sieht alles so friedlich aus und sogar die Sonne entscheidet sich, heraus zu kommen. Es liegt Schnee und die Luft wirkt so klar und sauber. Nancy reißt mich aus meinen Gedanken als die Haustür hinter ihr zuknallt. „Oh, Entschuldigung!“, sagte sie und guckt kurz erschrocken. Ich nicke nur und grinse sie kurz an. „Du Meggy, ich… ich habe hier noch was für dich. Eigentlich wollte ich es wegschmeißen als ich es vor kurzem in meiner Wohnung fand, aber dann dachte ich, dass ich es ja mal für euch gekauft hatte und na ja…“ Ich schaue sie irritiert an und frage „Für uns?“. In dem Moment überreicht sie mir eine kleine Schachtel, ich kann sie so mit einer Hand nehmen, weil es fast nur ein Schächtelchen ist. Sie schaut etwas ängstlich und ich selbst bemerke, wie ich einen Kloß im Hals bekomme. Nancy ringt sich zu einem zaghaften Lächeln durch. Solche Gesten kenne ich nicht von ihr und ich spüre eine innere Angst in mir, dieses Schächtelchen aufzumachen, doch ich öffne es und mir stockt der Atem. Sofort bekomme ich Kopfschmerzen, mein Puls rast und überhaupt fühle ich mich total benommen. Ich kann den Inhalt nicht herausholen, mag es nicht einmal aussprechen. Nancy sieht mich besorgt an, ich zwinge mich zu einem Lächeln. „Meggy, ist alles okay? Ich… ich wollte dich damit nicht kränken, ich nehme es auch wieder mit, wenn du willst!“ Nancy bequatscht mich noch eine Weile weiter, aber mehr bekomme ich nicht mit. Ich schüttele nur mit dem Kopf, umklammere das Schächtelchen in meiner rechten Hand und gehe zurück ins Haus. Nancy kommt hinterher und wir setzen uns gemeinsam auf die Couch im Wohnzimmer. Wir schweigen uns an, das Schächtelchen lasse ich nicht los.
„Das Geschenk ist sehr schön.“, sage ich ganz leise, aber gefasst. Ich schaue darauf und berühre das Geschenk. „Ich wusste nicht, dass es dich noch so hart trifft. Ich wollte dir echt nicht damit wehtun, Meggy.“ – „Ist schon okay. Es ist nur so, dass ich die Sache einfach nicht vergessen kann und dieses Geschenk ist wirklich total schön, weil du es zu einer Zeit gekauft hast als wir alle noch glücklich waren.“ Tränen kommen hoch. „Bist du denn nicht glücklich?“ – „Doch! Klar bin ich jetzt wieder glücklich, aber das alles hat ein großes Loch in mich gerissen. Andrew hat eine Tochter, die genauso alt ist wie der Zwerg und dann denke ich täglich daran.“ Nancy nimmt mich in den Arm und drückt mich kurz, dann nimmt sie die gestrickten Babyschuhe aus dem Schächtelchen, geht herüber zum Kaminsims und stellt sie dort ab. Dann geht sie ein paar Schritte nach links zu meinem Regal und holt die Schachtel von meinem Wunderkind hervor. „Woher wusstest du?“, frage ich sie, doch sie gibt mir keine Antwort. Sie greift in die Kiste und holt das Bild heraus. Sie stellt es hinter die Schühchen. Schockiert sehe ich sie an. Nancy lächelt mich liebevoll an. „Kisten sind untypisch für dich. Da können nur geheime Dinge drin sein, das war schon immer so bei dir. Ich war neugierig und entdeckte dann das alles darin und dann wusste ich, dass ich dir die Schuhe schenken wollte.“ Wortlos steht sie da und schaut zu dem Kaminsims. Ich weiß nicht, ob ich sie küssen oder schlagen soll. „Du brauchst gar nicht böse auf mich sein.“, sagt sie zu mir und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an, sodass ich lachen muss. Ich stehe auf und stelle mich neben sie, einen Arm lege ich um ihre Hüfte und sie legt ihren um meine Schultern. In mir spüre ich eine Kraft, die ich schon lange nicht mehr spürte. Die wirklich, die absolute Erleichterung. Nancy hat mich mit alledem vor den Kopf gestoßen und das ist genau das, was mir geholfen hat. Plötzlich beugt sie sich vor zu dem Bild. „Hmm, das sieht aber schon so aus, als ob der Zwerg deine große Nase bekommen hätte.“ Ich zwicke sie in die Seite und obwohl ich bei jedem anderen böse gewesen wäre, wusste ich genau, wie sie es meinte. Nancy mag solche ernsten Momente nicht und versucht dann mit irgendetwas die Situation zu lockern.
Tear30
6385 Beiträge
08.02.2009 16:11
weiter weiter weiter weiter weiter..........jetzt bin ich süchtig danach. hab mich in stunden jetzt dadurchgelesen und will wissen wie es weiter geht
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